FW 190 A Fürstenberg
 

 

Glimpfliches Ende eines Einsatzes bei der Wilden Sau

Es war Ende des Jahres 1999. Wie fast jeden zweiten Donnerstag im Monat fuhr unsere kleine Gruppe von Oranienburg zum Jägerabend nach Gatow. Angekommen in der Offiziersheimgesellschaft bemerkten wir ein neues Gesicht. Neugierig wie wir sind, setzten wir uns an den Tisch des "neuen Gesichtes". Wir kamen gleich ins Gespräch. Das "neue Gesicht" entpuppte sich als ein Flugzeugführer vom JG 302, Leutnant Günther Sinnecker. 

Als er merkte, dass wir aus dem Norden Berlins kommen, erzählte er uns folgende Begebenheit aus seinem Fliegerleben: 

 

"Es war Dezember 1943. Kurz zuvor wurde die 30. Jagddivision von Hajo Herrmann gegründet. Sie umfasste die Jagdgeschwader (JG) 300, 301 und 302. Es sollten britische Bomber bei Nachtangriffen auf deutsche Städte aus Scheinwerfererfassungen abgeschossen werden. Es handelte sich um einmotorige Nachtjäger , die zunächst mit den Flugzeugtypen Fw 190 und Me 109 flogen und die als Einzelkämpfer auftraten. Voraussetzung war der Blindflugschein III. Mein erster Verband war die 5. Staffel im JG 302, stationiert in Husum. In Ermangelung ausreichender Flugzeuge waren wir zunächst "Aufsitzer" bei einer Gruppe des JG 11. Sie flogen am Tage, wir hingegen bei Nacht. Dass daher für beide Seiten nicht immer viele Flugzeuge zur Verfügung standen, ist einleuchtend. Zum Nachtflug brauchten wir die einschlägigen Instrumente wie Fahrtmesser, Drehzahlmesser, künstlichen Horizont, Wendezeiger, Höhenmesser, Variometer und Kompass. Als Navigationshilfe dienten großmaßstäbliche fluoreszierende Karten, eine ultraviolett leuchtende Lampe und eine Taschenlampe. Auf der Karte waren die in Deutschland verteilten Blinkfeuer (Morsealphabet) eingezeichnet.

Einige Zeit nach dem Einsatzbeginn wurden alle nachtlandeklaren Flugplätze erhellt, Scheinwerfer der Flak gaben uns durch die Neigung ihrer Strahlen den Weg zu geeigneten Nachtlandeplätzen an. Ferner konnte man über Funkspruch eine Peilung von der Bodenstelle anfordern, die ebenfalls den Kurs zu einem Flugplatz mitteilten.

Häufiger wurden aber Funksprechverkehr und Befehle zum Einsatzort von englischen Störsendern unbrauchbar gemacht. Als Reaktion bekamen wir den Einheitsrundfunkempfänger ER 3 der Wehrmacht eingebaut, der auf der Mittelwelle der deutschen Rundfunksender geschaltet war. Mit Hilfe wechselnder Codes hörten wir die Sender ab. Erklang z.B. Marschmusik, dann war der Einsatzort Berlin.

Soweit die Theorie. Die Praxis sah oft anders aus. In der Nacht vom 2. zum 3. Dezember, kurz vor Mitternacht, startete unsere Staffel in einer dunklen Nacht und leicht bedecktem Himmel in Husum in den Einsatzraum Berlin. Schon von weitem konnte ich aus ca. 6.000 Meter Höhe den roten Schein des brennenden Berlin sehen. Die Bewölkung in der Umgebung  der Stadt war dichter geworden. Scheinwerfererfassungen waren nicht zu sehen doch breiteten die Flakscheinwerfer durch Streulicht ein weißes Tuch aus. Einige hundert Meter vor mir sah ich einen 4-motorigen  Bomber. Mit eingeschaltetem Reflexvisier und scharf gemachten Waffen näherte ich mich dem Bomber in ca. 5.000 bis 6.000 Meter Höhe. Plötzlich gab es einen scharfen Knall, und mein Motor lief in der Folge unrund. War es ein Flaktreffer, oder hatte mich der Brite entdeckt und beschossen? Die Instrumente zitterten, sie waren kaum noch ablesbar. Ich musste von dem Bomber ablassen und sehen, wie ich weiterfliegen konnte. Bei starker Drosselung des Motors erreichte ich eine Stellung, bei der die Instrumente hinreichend erkennbar waren. Allerdings verlor ich ständig an Höhe. So ging ich auf Kurs von 360 Grad und hoffte, durch ein Wolkenloch einen Flugplatz zu finden. Nach einigen Minuten rissen die Wolken auf, und ich hatte nur noch eine Höhe von 2.000 Metern. Da eine Notlandung bei Nacht den sicheren Tod bedeutet hätte, entschloss ich mich zum Fallschirmabsprung. Also Fahrt drosseln, Steuerknüppel leicht anziehen, Haube abwerfen und den Steuerknüppel schlagartig nach vorne drücken. Abgeschnallt hatte ich mich zwar, aber ich vergaß, die Bruchkupplung von meinem Kehlkopfmikrofon zu lösen. Das ergab einen sehr unangenehmen Effekt am Halse, aber ich war draußen! Nach Auslösen der Reißleine des Fallschirmes entfaltet er sich, und der Entfaltungsstoß schlug mir die lose an der Fliegerkombination befestigte Taschenlampe ins Gesicht.

Nun hing ich am Schirm, es war leise und dunkel um mich. Glücklicherweise führten wir Leuchtfallschirmmunition und eine Leuchtpistole mit. Der erste Leuchtfallschirm gab mir eine schöne Übersicht der Gegend, in der ich mich befand. Ich sah rings unten Seen und Wälder. Blitzschnell überlegte ich, was zu tun sei, wenn es eine Wasserlandung geben würde. Zur Sicherheit lud ich die Leuchtpistole nach und erkannte auch schon die Baumspitzen. Glücklicherweise landete ich in einer Waldlichtung und konnte nun unverletzt zu den explodierenden Wrackteilen meiner Fw 190, die nur geliehen war, durch den Wald marschieren, als mir plötzlich ein vielstimmiges: "Hände hoch" entgegenschallte. Etwa 20 bewaffnete Mitglieder der nahen Sicherheitspolizeischule von Fürstenberg, ca. 60 Kilometer nördlich Berlin, wollten einen vermeintlichen Briten gefangen nehmen. Der Irrtum klärte sich schnell auf, und ich konnte im Gästebett der Schule übernachten.  So endete einer meiner Nachteinsätze bei der Wilden Sau."

 

Herr Sinnecker war noch im Besitz von einigen Fotos, die von einem Polizeifotografen von der Aufschlagstelle gemacht wurden. Da wir schon einige Biere getrunken hatten, wurden wir leichtsinnig und behaupteten kurzer Hand "Die Stelle finden wir!"

Einige Tage später erhielten wir die Fotos von Herrn Sinnecker, die das damalige Ereignis dokumentierten.

 

 

Uns fiel auf, dass die Absturzstelle an einem ziemlich steilen, bewaldeten Hang mit einer Wiese davor lag. Eine markante Stelle, die mit Fleiß zu finden sein musste.

 

Die topographische Karte von Fürstenberg und Umgebung im Maßstab 1:10.000 wurde beschafft und ein Schlachtplan erarbeitet. An drei Wochenenden suchten wir alle weißen Flecke (Wiese oder Ackerland) die an einem Wald grenzten ab, erst auf der einen Seite der B 96 bei Fürstenberg, dann auf der anderen. Mehrmals glaubten wir am richtigen Hang zu sein, es gab im flachen Land Brandenburg doch mehr Hügel als wie wir gedacht hatten, aber es war kein Aufschlagtrichter zu finden. Endlich, am dritten Wochenende standen wir wieder einmal auf einer Wiese, die an einen sehr steilen, bewaldeten Hang grenzte.

 

Hier muss doch endlich die Absturzstelle zu finden sein und tatsächlich fanden wir am Hang zwei unregelmäßige Mulden, die eine, einem Bombentrichter ähnlich. Auf dem Grund dieses Trichters fanden sich auch Metallteile, hauptsächlich aus Aluminium. Es war also die Absturzstelle eines Flugzeuges. Es fand sich auch bald der Kipphebel eines BMW 801 und ein Teil mit einer RLM-Nummer, die die Wrackteile einer Fw 190 zuordnen ließen. 

 

 

 

 

Alles passte, es kann nur die Absturzstelle von Günther Sinnecker sein.

Sofort informierten wir Herrn Sinnecker über unseren Erfolg und vereinbarten einen Termin zur Besichtigung der Absturzstelle. 

 

 

 

 

 

 

Ende April 2000 fuhren wir gemeinsam an den Ort des Geschehens.

 

 

Tief bewegt erkannte Günther Sinnecker die Umgebung wieder, an der er vor so vielen Jahren mit dem Leben davon gekommen war. Vielen seiner Kameraden bei der Wilden Sau war dies nicht vergönnt.

 

 

 

 

 

Pressemitteilung

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