HEIKO
HOHENHAUS
ORANIENBURG - Von ihrer 23. Mission - der
Bombardierung Oranienburgs am 10. April 1945 - kehrte die Besatzung
des B-17-Bombers "Henns Revenge" der US Air Force nicht
zurück. Kurze Zeit, nachdem es seine Bombenlast über Bahnanlagen
der Stadt abgeworfen hatte, wurde das Flugzeug von den Projektilen
eines deutschen Jägers schwer getroffen und ging unweit des Dorfes
Hammer nieder. "Ich erinnere mich daran, als wäre es gestern
gewesen", schrieb jetzt der 76-jährige US-Amerikaner Vito
Brunale, einziger Überlebender der neunköpfigen Crew, in einem
Brief an den Oranienburger Mario Schulze.
Der 34-jährige Schulze gehört zu einer Gruppe von
Hobby-Historikern, die in Oranienburg die "Arbeitsgemeinschaft
Fliegerschicksale" gegründet hat. "Die Wälder und Äcker
im Umland von Oranienburg sind gespickt mit Flugzeug-Absturzstellen.
Bisher war dieses Kapitel der Kriegsgeschichte unerforscht",
befindet Schulze, der ein leidenschaftlicher Flugzeug-Modellbauer
ist. Seinen Mitstreiter Rüdiger Kaddatz lässt das Thema seit einem
Waldspaziergang vor fünf Jahren nicht mehr los. Gemeinsam mit
seinem Sohn war er im Schmachtenhagener Forst zufällig auf
verkohlte Aluminium- und Kunststoff-Teile gestoßen, die
unzweifelhaft zu einem Flugzeug gehörten. "An den
Absturzstellen braucht man nicht einmal zu graben, um Überreste der
Maschinen zu finden", sagt Kaddatz. 41 solcher Orte im Umland
der Stadt haben die Geschichtsforscher inzwischen lokalisiert.
"Dabei wollen wir nicht nur den jeweiligen Flugzeugtyp und das
Herkunftsland ermitteln, sondern auch die Namen der
Besatzungsmitglieder, den Zeitpunkt des Absturzes und die näheren
Umstände. Das ist noch um einiges interessanter, aber auch
wesentlich schwieriger", sagt Mario Schulze.
Verschollene Besatzung aufgespürt
Eine große Hilfe bei den Nachforschungen sind die Luftbilder, die
die Alliierten über Oranienburg während des Krieges machten. Mit
ihnen lassen sich die Absturzstellen sehr genau und der Zeitpunkt
ungefähr eingrenzen. Für ihre Recherchen stöberten Kaddatz und
Schulze nicht nur in Brandenburger Archiven, sondern auch schon
mehrfach im Public Record Office in London.
Mit ihrem Detailwissen klärte die Arbeitsgemeinschaft das Schicksal
eines verschollenen Lancaster-Bombers mit australisch-englischer
Besatzung auf. Rüdiger Kaddatz hatte in einem frisch gepflügten
Waldstück bei Oranienburg Flugzeugteile gefunden, die er einer
Lancaster zuordnen konnte. Auf Luftbildern vom März 1944 war der
riesige Absturzkrater zu sehen, das Flugzeug hatte seine Bombenlast
noch an Bord gehabt. Die Oranienburger entdeckten schließlich eine
Fallschirmschnur und bargen in Abstimmung mit dem Volksbund Deutsche
Kriegsgräberfürsorge und mit Hilfe der Bundeswehr die wenigen
sterblichen Überreste der Besatzungsmitglieder. Noch immer war aber
die Identität der Toten unklar. Über einen Oranienburger Pfarrer
kam schließlich der Kontakt mit einer Engländerin zu Stande, die
schon jahrelang nach dem Verbleib ihres Onkels forschte. Die
Recherchen der Engländerin und der Oranienburger fügten das Puzzle
zusammen. Es handelte sich um die Crew von ED 687, die am 29. Januar
1944 zu einem Angriff auf Berlin gestartet und nicht zu ihrer Basis
in England heimgekehrt war. Vier identifizierte Besatzungsmitglieder
konnten inzwischen auf einem Militärfriedhof in Berlin beigesetzt
werden. Der australische Militärattaché kam persönlich nach
Oranienburg, um sich für die Klärung dieses Falls zu bedanken.
Zeitzeuge schildert seine Erlebnisse
"In letzter Zeit nutzen wir immer mehr das Internet für unsere
Nachforschungen. Das ist eine große Hilfe", sagt Kaddatz. So
erfuhren sie über die Internet-Präsenz eines Veteranenverbandes
der US Air Force, dass ein Besatzungsmitglied der im April 1945 bei
Hammer abgeschossenen B 17 "Henns Revenge" sich immer noch
guter Gesundheit erfreut - Vito Brunale. Die umtriebigen
Hobby-Historiker versuchten schließlich, mit dem ehemaligen
Bordmechaniker persönlich in Kontakt zu treten, um mehr Aufschluss
über noch unbekannte Details zu erhalten. "Große Hoffnungen
auf eine Antwort haben wir uns nicht gemacht", sagt Mario
Schulze heute. Da sei die Freude riesig gewesen, als schließlich
ein siebenseitiger handgeschriebener Brief aus Bronxville im Staat
New York eintraf.
Brunale schildert darin sehr genau, wie er in letzter Sekunde mit
seinem Fallschirm aus dem brennenden Flugzeug springen konnte, wie
er von "Soldaten in grau-grünen Uniformen" vor einem
"wütenden Mob" gerettet wurde und in Kriegsgefangenschaft
geriet, während sein Kamerad Carl Hammarlund, der ebenfalls den
Absprung geschafft hatte, erschossen wurde.
Unvergesslich, schreibt Vito Brunale, seien auch die riesigen
schwarzen Rauchwolken, die er vom Boden aus über Oranienburg sah,
und das Bedauern für die zivilen Opfer, das der damals 19-Jährige
bei dem Anblick hatte.
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