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24.04.2002 VOM TAGE : LANDESPOLITIK

"ARBEITSGEMEINSCHAFT FLIEGERSCHICKSALE" ERMITTELT ÜBERLEBENDE ABGESTÜRZTER BOMBER
Abgeschossen bei Oranienburg


HEIKO HOHENHAUS

ORANIENBURG - Von ihrer 23. Mission - der Bombardierung Oranienburgs am 10. April 1945 - kehrte die Besatzung des B-17-Bombers "Henns Revenge" der US Air Force nicht zurück. Kurze Zeit, nachdem es seine Bombenlast über Bahnanlagen der Stadt abgeworfen hatte, wurde das Flugzeug von den Projektilen eines deutschen Jägers schwer getroffen und ging unweit des Dorfes Hammer nieder. "Ich erinnere mich daran, als wäre es gestern gewesen", schrieb jetzt der 76-jährige US-Amerikaner Vito Brunale, einziger Überlebender der neunköpfigen Crew, in einem Brief an den Oranienburger Mario Schulze.

Der 34-jährige Schulze gehört zu einer Gruppe von Hobby-Historikern, die in Oranienburg die "Arbeitsgemeinschaft Fliegerschicksale" gegründet hat. "Die Wälder und Äcker im Umland von Oranienburg sind gespickt mit Flugzeug-Absturzstellen. Bisher war dieses Kapitel der Kriegsgeschichte unerforscht", befindet Schulze, der ein leidenschaftlicher Flugzeug-Modellbauer ist. Seinen Mitstreiter Rüdiger Kaddatz lässt das Thema seit einem Waldspaziergang vor fünf Jahren nicht mehr los. Gemeinsam mit seinem Sohn war er im Schmachtenhagener Forst zufällig auf verkohlte Aluminium- und Kunststoff-Teile gestoßen, die unzweifelhaft zu einem Flugzeug gehörten. "An den Absturzstellen braucht man nicht einmal zu graben, um Überreste der Maschinen zu finden", sagt Kaddatz. 41 solcher Orte im Umland der Stadt haben die Geschichtsforscher inzwischen lokalisiert.

"Dabei wollen wir nicht nur den jeweiligen Flugzeugtyp und das Herkunftsland ermitteln, sondern auch die Namen der Besatzungsmitglieder, den Zeitpunkt des Absturzes und die näheren Umstände. Das ist noch um einiges interessanter, aber auch wesentlich schwieriger", sagt Mario Schulze.

Verschollene Besatzung aufgespürt

Eine große Hilfe bei den Nachforschungen sind die Luftbilder, die die Alliierten über Oranienburg während des Krieges machten. Mit ihnen lassen sich die Absturzstellen sehr genau und der Zeitpunkt ungefähr eingrenzen. Für ihre Recherchen stöberten Kaddatz und Schulze nicht nur in Brandenburger Archiven, sondern auch schon mehrfach im Public Record Office in London.

Mit ihrem Detailwissen klärte die Arbeitsgemeinschaft das Schicksal eines verschollenen Lancaster-Bombers mit australisch-englischer Besatzung auf. Rüdiger Kaddatz hatte in einem frisch gepflügten Waldstück bei Oranienburg Flugzeugteile gefunden, die er einer Lancaster zuordnen konnte. Auf Luftbildern vom März 1944 war der riesige Absturzkrater zu sehen, das Flugzeug hatte seine Bombenlast noch an Bord gehabt. Die Oranienburger entdeckten schließlich eine Fallschirmschnur und bargen in Abstimmung mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und mit Hilfe der Bundeswehr die wenigen sterblichen Überreste der Besatzungsmitglieder. Noch immer war aber die Identität der Toten unklar. Über einen Oranienburger Pfarrer kam schließlich der Kontakt mit einer Engländerin zu Stande, die schon jahrelang nach dem Verbleib ihres Onkels forschte. Die Recherchen der Engländerin und der Oranienburger fügten das Puzzle zusammen. Es handelte sich um die Crew von ED 687, die am 29. Januar 1944 zu einem Angriff auf Berlin gestartet und nicht zu ihrer Basis in England heimgekehrt war. Vier identifizierte Besatzungsmitglieder konnten inzwischen auf einem Militärfriedhof in Berlin beigesetzt werden. Der australische Militärattaché kam persönlich nach Oranienburg, um sich für die Klärung dieses Falls zu bedanken.

Zeitzeuge schildert seine Erlebnisse

"In letzter Zeit nutzen wir immer mehr das Internet für unsere Nachforschungen. Das ist eine große Hilfe", sagt Kaddatz. So erfuhren sie über die Internet-Präsenz eines Veteranenverbandes der US Air Force, dass ein Besatzungsmitglied der im April 1945 bei Hammer abgeschossenen B 17 "Henns Revenge" sich immer noch guter Gesundheit erfreut - Vito Brunale. Die umtriebigen Hobby-Historiker versuchten schließlich, mit dem ehemaligen Bordmechaniker persönlich in Kontakt zu treten, um mehr Aufschluss über noch unbekannte Details zu erhalten. "Große Hoffnungen auf eine Antwort haben wir uns nicht gemacht", sagt Mario Schulze heute. Da sei die Freude riesig gewesen, als schließlich ein siebenseitiger handgeschriebener Brief aus Bronxville im Staat New York eintraf.

Brunale schildert darin sehr genau, wie er in letzter Sekunde mit seinem Fallschirm aus dem brennenden Flugzeug springen konnte, wie er von "Soldaten in grau-grünen Uniformen" vor einem "wütenden Mob" gerettet wurde und in Kriegsgefangenschaft geriet, während sein Kamerad Carl Hammarlund, der ebenfalls den Absprung geschafft hatte, erschossen wurde.

Unvergesslich, schreibt Vito Brunale, seien auch die riesigen schwarzen Rauchwolken, die er vom Boden aus über Oranienburg sah, und das Bedauern für die zivilen Opfer, das der damals 19-Jährige bei dem Anblick hatte.

Quelle: Märkische Allgemeine Zeitung                           ID: 41187