Pressemitteilung 11.09.2004

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das verschwundene Grab

Von Mario Schulze

Arbeitsgemeinschaft Fliegerschicksale Oranienburg klärte das Schicksal des Unteroffiziers Gerhard Schulze auf

Wenn die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft (AG) Fliegerschicksale Oranienburg Angaben über einen Flugzeugabsturz erhalten, der sich in der Zeit des Zweiten Weltkrieges in unserem Landkreis ereignet hat, so sind sie bemüht, jedes noch so kleine Detail einer solchen Tragödie zu recherchieren. Im besonderen Interesse steht dabei die Ermittlung zum Verbleib der Flugzeugbesatzung. Von einem besonders tragischen Fall wird hier berichtet.

Im Juli 2000 erhielt die AG Informationen von Einwohnern aus dem Dorf Krewelin bei Liebenwalde über den Absturz eines deutschen Jagdflugzeuges 1944. Diese wussten von einem Angriff deutscher Jäger auf einen alliierten Bomberverband im Herbst 1944 westlich von Zehdenick zu berichten. Damals entbrannte ein heftiges Luftgefecht zwischen deutschen und alliierten Jagdflugzeugen. Sie hatten beobachtet, wie im Verlaufe des Luftkampfes ein Flugzeug, eine schwarze Rauchfahne hinter sich her ziehend, die Formation kreisender Flugzeuge verließ. Die Maschine flog parallel zum Vosskanal in südlicher Richtung und die Zeitzeugen sahen, wie der Pilot südlich von Krewelin seine Kanzel-Haube abwarf und dann Richtung Osten abschwenkte. Vermutlich wollte er eine Bauchlandung auf einem Feld nahe des Dorfes versuchen. Doch entsetzt mussten die Dorfbewohner mit ansehen, wie das Flugzeug plötzlich nach unten wegsackte und an einer Waldkante zerschellte. Die Menschen eilten zum Unglücksort und entdeckten den Piloten, der mitsamt seinem Sitz aus dem Flugzeugwrack herausgeschleudert worden war. Der Mann war noch am Leben als man ihn fand, doch kurz darauf erlag er seinen schweren Verletzungen.

Durch einen Gendarmen wurden später die Personalien festgestellt. Zwei Brüder erinnerten sich, den Namen Gerhard Schulz gehört zu haben und dass der Mann aus Sachsen stamme. Noch am Abend des selben Tages kam ein Lkw der Wehrmacht in den Ort, um den Toten abzuholen. Die Dorfbewohner sahen, dass sich auf der Ladefläche noch weitere Tote befanden - deutsche und alliierte Flieger. Wohin man sie brachte, entzieht sich ihrer Kenntnis.

Am Morgen des 12. September 1944 –am Sonntag vor 60Jahren – machten sich Hunderte amerikanische Bomber von England auf den Weg, um Produktionsstätten der deutschen Treibstoffindustrie anzugreifen. Dabei wurden der amerikanischen 1. Luftdivision Ziele in Brux (Tschechien) und Ruhland (Sachsen) zugewiesen und um der deutschen Luftabwehr einen Angriff auf Berlin vorzutäuschen, sollte der Weg nördlich und östlich an Berlin vorbeiführen.

Die Jagdabwehr der Reichsverteidigung setzte diesem Kampfverband acht Jägergruppen entgegen. Nördlich von Berlin versuchten diese immer wieder die Bomber anzugreifen, wobei es einigen wenigen Jagdfliegern gelang, bis zu den amerikanischen Formationen durchzukommen und etliche B-17 Bomber abzuschießen. Doch viele deutsche Flieger zahlten den Versuch mit ihrer Gesundheit oder mit ihrem Leben.

Unter ihnen war der am 13.Dezember 1919 in Zeitz/Sachsen geborene Unteroffizier Gerhard Schulze. Er gehörte zu einer Sturmgruppe des Jagdgeschwaders 300. Diese Einheit ist mit schwer gepanzerten und bewaffneten Jagdflugzeugen vom Typ Focke Wulf Fw-190A-8 ausgerüstet, die nur dem Zweck dienten gegnerische Bomberpulks anzugreifen. Aber sie sind den amerikanischen Begleitschutz-Jagdflugzeugen, insbesondere der P-51 „Mustang“, unterlegen. Und diese eskortieren die Bomber inzwischen zu Hunderten.
Mustang-Piloten der amerikanischen 364. Jagdgruppe beobachteten an diesem 12.September 1944, etwa 40Kilometer nördlich von Berlin, wie ein etwa 120 Maschinen starker Verband von Fw-190 versuchte die Bomber anzugreifen. Doch sie wehrten diese Attacke ab und melden zwei Feindjäger als zerstört und zwei weitere als vermutlich abgeschossen. Den Unteroffizier Schulze ereilte sein Schicksal über Zehdenick. Sein Gruppenkamerad Unteroffizier Walter Simon wurde bei Eberswalde getötet. Um die Grablage von Gerhard Schulze festzustellen, wurde eine Anfrage an die „Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht“ (WASt) getätigt. Jedoch konnte diese keine eindeutigen Angaben machen. Die Annahme, dass der Getötete in Krewelin bestattet wurde, konnte ausgeschlossen werden, da Zeitzeugen berichteten, dass der Tote abtransportiert wurde. Dieser Bericht deckt sich mit der 1944 noch gängigen Praxis deutscher Bergungstrupps, dass gefallene deutsche Flieger auf Friedhöfen der zuständigen Fliegerhorst-Kommandanturen bestattet wurden. Und der für unsere Region zuständige war der Ortsfriedhof nahe des Flugplatzes Finow. Tatsächlich findet sich in den alten Gräberlisten des Ehrenfriedhofes von Finow, dass dort Walter Simon bestattet wurde und sich neben seinem Grab, mit der Nummer 338, das eines Mannes namens Schulz befindet.

Doch handelt es sich hier um Gerhard Schulze? Kollegen einer Forschergruppe aus der Uckermark halfen. Sie schickten uns die alten Friedhofslisten, dem zu folge Simon, Schulz und ein unbekannter Flieger-Unteroffizier auf dem Friedhof in Finow am 18. September 1944 bestattet wurden. Weiterhin recherchierten sie, dass zu Walter Simon ein Dokument zur genauen Grablage existiert.

Die Uckermärker forschten nach, ob eventuell auch zu dem Unteroffizier Gerhard Schulze eine solche Grabnachmeldung existiert. Und tatsächlich wurden sie in Berlin fündig. In einer Meldung seiner Einheit vom 30. September 1944 wird das Grab Nummer 337 auf dem Ehrenfriedhof in Finow genannt. Damit steht fest, dass Gerhard Schulze, wie wir es schon vermutet hatten, neben seinem Kameraden bestattet wurde.
Doch die eher bittere Freude, den Verbleib des Piloten geklärt zu haben, währte nur kurz. Wie wir erfahren mussten, wurden in den siebziger Jahren auf diesem Friedhof die sterblichen Überreste aller gefallenen Wehrmachtsangehörigen aus ihren gekennzeichneten Gräbern geborgen und in ein Gemeinschaftsgrab gelegt. Dieses Grab wurde dann mit einem Stein gekennzeichnet, dass nur zu allgemein „den Opfern des Faschismus“ gewidmet ist. Es sind keine namentlich gekennzeichneten Kriegsgräber mehr auf diesem Friedhof vorhanden und das steht im krassen Gegensatz zur Genfer Konvention, die die Unantastbarkeit von deutlich markierten Kriegsgräberstätten festlegt. Doch in der DDR war es den örtlichen Organen überlassen, wie sie mit diesen Gräbern verfahren. Viele Gräber verwilderten, wurden einfach unkenntlich gemacht und nur wenige blieben erhalten, zumeist von Privatpersonen und den Kirchen weiter gepflegt.

Abschließend können wir nur hoffen, dass diesen Menschen wieder Recht geschieht und sie eine würdige letzte Ruhestätte erhalten. Denn sie wurden Opfer zweier totalitärer Regime. Eines hat ihnen ihr Leben genommen – das andere nahm die Erinnerung an sie.