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Das verschwundene Grab
Von Mario Schulze
Arbeitsgemeinschaft
Fliegerschicksale Oranienburg klärte das Schicksal des Unteroffiziers
Gerhard Schulze auf
Wenn die Mitglieder
der Arbeitsgemeinschaft (AG) Fliegerschicksale Oranienburg Angaben über
einen Flugzeugabsturz erhalten, der sich in der Zeit des Zweiten Weltkrieges
in unserem Landkreis ereignet hat, so sind sie bemüht, jedes noch so kleine
Detail einer solchen Tragödie zu recherchieren. Im besonderen Interesse
steht dabei die Ermittlung zum Verbleib der Flugzeugbesatzung. Von einem
besonders tragischen Fall wird hier berichtet.
Im Juli 2000 erhielt die AG Informationen von Einwohnern aus dem Dorf
Krewelin bei Liebenwalde über den Absturz eines deutschen Jagdflugzeuges
1944. Diese wussten von einem Angriff deutscher Jäger auf einen alliierten
Bomberverband im Herbst 1944 westlich von Zehdenick zu berichten. Damals
entbrannte ein heftiges Luftgefecht zwischen deutschen und alliierten
Jagdflugzeugen. Sie hatten beobachtet, wie im Verlaufe des Luftkampfes ein
Flugzeug, eine schwarze Rauchfahne hinter sich her ziehend, die Formation
kreisender Flugzeuge verließ. Die Maschine flog parallel zum Vosskanal in südlicher
Richtung und die Zeitzeugen sahen, wie der Pilot südlich von Krewelin seine
Kanzel-Haube abwarf und dann Richtung Osten abschwenkte. Vermutlich wollte
er eine Bauchlandung auf einem Feld nahe des Dorfes versuchen. Doch entsetzt
mussten die Dorfbewohner mit ansehen, wie das Flugzeug plötzlich nach unten
wegsackte und an einer Waldkante zerschellte. Die Menschen eilten zum Unglücksort
und entdeckten den Piloten, der mitsamt seinem Sitz aus dem Flugzeugwrack
herausgeschleudert worden war. Der Mann war noch am Leben als man ihn fand,
doch kurz darauf erlag er seinen schweren Verletzungen.
Durch einen Gendarmen wurden später die Personalien festgestellt. Zwei Brüder
erinnerten sich, den Namen Gerhard Schulz gehört zu haben und dass der Mann
aus Sachsen stamme. Noch am Abend des selben Tages kam ein Lkw der Wehrmacht
in den Ort, um den Toten abzuholen. Die Dorfbewohner sahen, dass sich auf
der Ladefläche noch weitere Tote befanden - deutsche und alliierte Flieger.
Wohin man sie brachte, entzieht sich ihrer Kenntnis.
Am Morgen des 12. September 1944 –am Sonntag vor 60Jahren – machten sich
Hunderte amerikanische Bomber von England auf den Weg, um Produktionsstätten
der deutschen Treibstoffindustrie anzugreifen. Dabei wurden der
amerikanischen 1. Luftdivision Ziele in Brux (Tschechien) und Ruhland
(Sachsen) zugewiesen und um der deutschen Luftabwehr einen Angriff auf
Berlin vorzutäuschen, sollte der Weg nördlich und östlich an Berlin
vorbeiführen.
Die Jagdabwehr der Reichsverteidigung setzte diesem Kampfverband acht Jägergruppen
entgegen. Nördlich von Berlin versuchten diese immer wieder die Bomber
anzugreifen, wobei es einigen wenigen Jagdfliegern gelang, bis zu den
amerikanischen Formationen durchzukommen und etliche B-17 Bomber abzuschießen.
Doch viele deutsche Flieger zahlten den Versuch mit ihrer Gesundheit oder
mit ihrem Leben.
Unter ihnen war der am 13.Dezember 1919 in Zeitz/Sachsen geborene
Unteroffizier Gerhard Schulze. Er gehörte zu einer Sturmgruppe des
Jagdgeschwaders 300. Diese Einheit ist mit schwer gepanzerten und
bewaffneten Jagdflugzeugen vom Typ Focke Wulf Fw-190A-8 ausgerüstet, die
nur dem Zweck dienten gegnerische Bomberpulks anzugreifen. Aber sie sind den
amerikanischen Begleitschutz-Jagdflugzeugen, insbesondere der P-51
„Mustang“, unterlegen. Und diese eskortieren die Bomber inzwischen zu
Hunderten.
Mustang-Piloten der amerikanischen 364. Jagdgruppe beobachteten an diesem
12.September 1944, etwa 40Kilometer nördlich von Berlin, wie ein etwa 120
Maschinen starker Verband von Fw-190 versuchte die Bomber anzugreifen. Doch
sie wehrten diese Attacke ab und melden zwei Feindjäger als zerstört und
zwei weitere als vermutlich abgeschossen. Den Unteroffizier Schulze ereilte
sein Schicksal über Zehdenick. Sein Gruppenkamerad Unteroffizier Walter
Simon wurde bei Eberswalde getötet. Um die Grablage von Gerhard Schulze
festzustellen, wurde eine Anfrage an die „Deutsche Dienststelle für die
Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen
deutschen Wehrmacht“ (WASt) getätigt. Jedoch konnte diese keine
eindeutigen Angaben machen. Die Annahme, dass der Getötete in Krewelin
bestattet wurde, konnte ausgeschlossen werden, da Zeitzeugen berichteten,
dass der Tote abtransportiert wurde. Dieser Bericht deckt sich mit der 1944
noch gängigen Praxis deutscher Bergungstrupps, dass gefallene deutsche
Flieger auf Friedhöfen der zuständigen Fliegerhorst-Kommandanturen
bestattet wurden. Und der für unsere Region zuständige war der
Ortsfriedhof nahe des Flugplatzes Finow. Tatsächlich findet sich in den
alten Gräberlisten des Ehrenfriedhofes von Finow, dass dort Walter Simon
bestattet wurde und sich neben seinem Grab, mit der Nummer 338, das eines
Mannes namens Schulz befindet.
Doch handelt es sich hier um Gerhard Schulze? Kollegen einer Forschergruppe
aus der Uckermark halfen. Sie schickten uns die alten Friedhofslisten, dem
zu folge Simon, Schulz und ein unbekannter Flieger-Unteroffizier auf dem
Friedhof in Finow am 18. September 1944 bestattet wurden. Weiterhin
recherchierten sie, dass zu Walter Simon ein Dokument zur genauen Grablage
existiert.
Die Uckermärker forschten nach, ob eventuell auch zu dem Unteroffizier
Gerhard Schulze eine solche Grabnachmeldung existiert. Und tatsächlich
wurden sie in Berlin fündig. In einer Meldung seiner Einheit vom 30.
September 1944 wird das Grab Nummer 337 auf dem Ehrenfriedhof in Finow
genannt. Damit steht fest, dass Gerhard Schulze, wie wir es schon vermutet
hatten, neben seinem Kameraden bestattet wurde.
Doch die eher bittere Freude, den Verbleib des Piloten geklärt zu haben, währte
nur kurz. Wie wir erfahren mussten, wurden in den siebziger Jahren auf
diesem Friedhof die sterblichen Überreste aller gefallenen Wehrmachtsangehörigen
aus ihren gekennzeichneten Gräbern geborgen und in ein Gemeinschaftsgrab
gelegt. Dieses Grab wurde dann mit einem Stein gekennzeichnet, dass nur zu
allgemein „den Opfern des Faschismus“ gewidmet ist. Es sind keine
namentlich gekennzeichneten Kriegsgräber mehr auf diesem Friedhof vorhanden
und das steht im krassen Gegensatz zur Genfer Konvention, die die
Unantastbarkeit von deutlich markierten Kriegsgräberstätten festlegt. Doch
in der DDR war es den örtlichen Organen überlassen, wie sie mit diesen Gräbern
verfahren. Viele Gräber verwilderten, wurden einfach unkenntlich gemacht
und nur wenige blieben erhalten, zumeist von Privatpersonen und den Kirchen
weiter gepflegt.
Abschließend können wir nur hoffen, dass diesen Menschen wieder Recht
geschieht und sie eine würdige letzte Ruhestätte erhalten. Denn sie wurden
Opfer zweier totalitärer Regime. Eines hat ihnen ihr Leben genommen – das
andere nahm die Erinnerung an sie.
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