Die
Mission 889 brachte den Tod
AG
Fliegerschicksale ermittelte: Wie ein amerikanische Flieger den Angriff vom
15. März 1945 auf Oranienburg erlebte
Von
Mario Schulze
Am
heutigen Tag wird Oranienburg des schrecklichen Bombardements gedenken, das
vor 60 Jahren auf die Stadt und seine Bewohner niederging. Die Menschen, die
diesen Angriff erlebten, werden wieder mit den schrecklichen Ereignisse
dieses 15. März 1945 konfrontiert.
Es
sind aber nicht nur Deutsche, die sich mit Grauen an diesen Tag erinnern. Im
fernen Amerika brachte der 89 jährige John H. Kirkwood seinen Bericht über
diesen Einsatz zu Papier und während er dies tat, lassen ihn die
Erinnerungen an die Ereignisse dieses schrecklichen März-Tages von vor 60
Jahren in kalten Schweiß ausbrechen.
Kirkwood
war Navigator eines B-17 Bombers der 447. Gruppe, der 8 US-Luftwaffe. Dies
ist der Bericht seines 19. Kampfeinsatzes.
"Unser
Ziel wird heute der Verschiebebahnhof von Oranienburg sein. Der
Einweisungsoffizier teilt uns mit, dass durch diesen Bahnhof Panzer
von der Ostfront in Richtung Westen transportiert werden. Unser Job ist es,
dies zu beenden. Wir werden mit je sechs 1000 Pfund -Bomben pro Flugzeug
beladen. Jede Bombe ist mit einem Langzeitzünder ausgestattet.
Wir
starten erst ungewöhnlich spät, gegen Mittag. Es wird kein Grund dafür
angegeben. Unser Bomber startet als fast letzter der gesamten Gruppe. Die
drei Führungsstaffeln sind vor uns und so steigen wir vorsichtig zu unserer
Position in der Bomberformation auf. Dies ist der Moment wo
Kollisionen möglich sind.
Die
Sauerstoffmasken werden angelegt, als wir unserer Einsatzhöhe von 7.000
Meter entgegen steigen. Es ist höllisch kalt draußen, der Winter geht
seinem Ende entgegen.
Wir
überfliegen Holland, als nächstes Belgien und schließlich die Frontlinie
- Deutschland.
Ich
hänge meinen Fallschirm am Tragegestell ein und ziehe die Flak-Schutzweste
fester. Sie ist lästig und wiegt schwer wie eine Tonne. Der Fallschirm ist
auch unbequem, aber ich will nicht ohne meinen Lebensretter aus dem Flugzeug
geschleudert werden.
Norddeutschland
ist sehr vernebelt heute. Das wird problematisch, weil die Bombenschützen
das Ziel sehen müssen, um den Zielpunkt klar definieren zu können.
Der
Punkt des direkten Zielanfluges ist nicht mehr weit, wir machen einen
letzten Schwenk. Ich quäle mich in meine Flak-Weste, setze noch den
Stahlhelm auf.
Am
Beginn des Zielanfluges sehe ich eine unserer B-17 direkt vor uns abstürzen,
getroffen von einer uns unbekannten Flak-Batterie. Die Flak-Weste wird plötzlich
viel leichter. Mein Puls jagt. Das Ziel ist noch etwa 60 Km entfernt, noch
etwa 10 Minuten Flugzeit. Aber die Explosionswolken der Flak kommen immer näher.
Das Ziel wird verteidigt.
Ich
stehe hinter Skeets, unserem Bombenschützen, und ich bemerke, dass eine
B-17 der Führungsstaffel nach Rechts aus seiner Formation driftet.
Explosionen der Flak sind links und rechts um ihn herum. Deren Höhe, Kurs
und Geschwindigkeit sind exakt und ich erkenne, dass der Bomber umklammert
ist. Als meine Augen sich der Flugrichtung wieder zuwenden, ist da plötzlich
ein heller Lichtblitz und eine Rauchwolke hängt dort, wo eben noch das
Flugzeug war. Einige wenige brennende Teile fallen trudelnd nach unten.
Seine Bombenladung war getroffen worden, und in einem Augenblick sind eine
B-17 und seine Besatzung verschwunden, in Stücke gerissen.
Nach
wenigen Minuten sind wir über dem Ziel, die Bomben fallen. Flak ist überall
um uns herum. Das Krachen naher Explosionen ist zu hören und ihr hässliches
rotes Innenleben ist zu sehen, das war nahe. Während des Bombenabwurfes
fliegen wir irgendwie durch eine der Rauchmarkierungen, welche unsere
transparente Bugsektion und die Astrokuppel mit einer gelblich-grünen
Schmiere überzieht und uns die Sicht nimmt.
Wir
fliegen vom Ziel ab. Nahe der Elbe, bei Wittenberg, so vermute ich, kommen
wir der Stadt und seiner Flak zu nahe . Dann bricht die Hölle los. Wir
taumeln nach links und rechts, ich werde durch die Kabine geschleudert und
mir wird der Stahlhelm vom Kopf gerissen. Über den Bordfunk kommt erregtes
Gebrüll - ich erfahre, dass
einer über uns getroffen wurde, eine seiner Tragflächen ist abgerissen,
und dass der B-17 von Lt. Putnam's-Crew der Bug weggeschossen wurde. Wir
sind von einer Flak-Batterie erwischt worden, die sich in einem Kahn auf der
Elbe oder auf einem Eisenbahnwaggon befand und zwei weitere unserer
Flugzeuge sind nicht mehr.
Ich
bin zu Tode verängstigt und wegen der verschmierten Kanzel nicht in der
Lage zu erkennen was vor sich geht, ich rücke
dem Notausstieg näher. Ich will nicht in einem nach Unten trudelnden
Flugzeug gefangen sein, wenn wir getroffen werden.
Innerhalb
von Sekunden ist der Zauber vorbei, wir rissen uns zusammen und flogen
weiter, ziemlich gut durchgeschüttelt, landeten wohlbehalten, werden
abgeladen, ausgefragt, schleppen uns an der Kantine vorbei in unsere Hütten.
Das
Letzte woran ich mich an diesen Tag erinnere, ist, dass ich ruhig dasitze
und dem Personal-Offizier dabei zusehe, wie er durch Neill‘s Sachen
geht. Neill war der Bombenschütze der Putnam-Crew und saß im Bug mit Lt.
Esposito, deren Navigator, als sie getroffen wurden. Er war ein großer,
ruhiger junger Kerl und sehr würdevoll. Neill und ich waren im Grunde
Freunde, ungeachtet der ungeschriebenen Regel im Krieg: ‘Mache dir keine
zu engen Freunde‘. Es war das zweite Mal, dass ich diese Regel brach“.
Wie
auch die Menschen in deutschen Städten, wie Oranienburg, durchlebten auch
die Angreifer der alliierten Bomberverbände die Hölle des Krieges. Doch
welcher normale Mensch mag im Angesicht solch durchlittener Schrecken auf
beiden Seiten, den Anteil einer Schuld aufzuwiegen. Das einzig Richtige ist,
um allen Opfern dieses Krieges gerecht zu werden, gemeinsam ihrer zu
gedenken. Dabei sollten auch nicht jene Menschen vergessen werden, denen der
Krieg seelischen Schaden zugefügt hatte. Menschen, wie John H. Kirkwood.
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