Pressemitteilung 15.03.2005
Oranienburger Generalanzeiger, 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Mission 889 brachte den Tod

AG Fliegerschicksale ermittelte: Wie ein amerikanische Flieger den Angriff vom 15. März 1945 auf Oranienburg erlebte

 

Von Mario Schulze

 

Am heutigen Tag wird Oranienburg des schrecklichen Bombardements gedenken, das vor 60 Jahren auf die Stadt und seine Bewohner niederging. Die Menschen, die diesen Angriff erlebten, werden wieder mit den schrecklichen Ereignisse dieses 15. März 1945 konfrontiert.

Es sind aber nicht nur Deutsche, die sich mit Grauen an diesen Tag erinnern. Im fernen Amerika brachte der 89 jährige John H. Kirkwood seinen Bericht über diesen Einsatz zu Papier und während er dies tat, lassen ihn die Erinnerungen an die Ereignisse dieses schrecklichen März-Tages von vor 60 Jahren in kalten Schweiß ausbrechen.

Kirkwood war Navigator eines B-17 Bombers der 447. Gruppe, der 8 US-Luftwaffe. Dies ist der Bericht seines 19. Kampfeinsatzes.

"Unser Ziel wird heute der Verschiebebahnhof von Oranienburg sein. Der Einweisungsoffizier teilt uns mit, dass durch diesen Bahnhof Panzer von der Ostfront in Richtung Westen transportiert werden. Unser Job ist es, dies zu beenden. Wir werden mit je sechs 1000 Pfund -Bomben pro Flugzeug beladen. Jede Bombe ist mit einem Langzeitzünder ausgestattet.

Wir starten erst ungewöhnlich spät, gegen Mittag. Es wird kein Grund dafür angegeben. Unser Bomber startet als fast letzter der gesamten Gruppe. Die drei Führungsstaffeln sind vor uns und so steigen wir vorsichtig zu unserer Position in der Bomberformation auf. Dies ist der Moment wo Kollisionen möglich sind.

Die Sauerstoffmasken werden angelegt, als wir unserer Einsatzhöhe von 7.000 Meter entgegen steigen. Es ist höllisch kalt draußen, der Winter geht seinem Ende entgegen.

Wir überfliegen Holland, als nächstes Belgien und schließlich die Frontlinie - Deutschland.

Ich hänge meinen Fallschirm am Tragegestell ein und ziehe die Flak-Schutzweste fester. Sie ist lästig und wiegt schwer wie eine Tonne. Der Fallschirm ist auch unbequem, aber ich will nicht ohne meinen Lebensretter aus dem Flugzeug geschleudert werden.

Norddeutschland ist sehr vernebelt heute. Das wird problematisch, weil die Bombenschützen das Ziel sehen müssen, um den Zielpunkt klar definieren zu können.

Der Punkt des direkten Zielanfluges ist nicht mehr weit, wir machen einen letzten Schwenk. Ich quäle mich in meine Flak-Weste, setze noch den Stahlhelm auf.

Am Beginn des Zielanfluges sehe ich eine unserer B-17 direkt vor uns abstürzen, getroffen von einer uns unbekannten Flak-Batterie. Die Flak-Weste wird plötzlich viel leichter. Mein Puls jagt. Das Ziel ist noch etwa 60 Km entfernt, noch etwa 10 Minuten Flugzeit. Aber die Explosionswolken der Flak kommen immer näher. Das Ziel wird verteidigt.

Ich stehe hinter Skeets, unserem Bombenschützen, und ich bemerke, dass eine B-17 der Führungsstaffel nach Rechts aus seiner Formation driftet. Explosionen der Flak sind links und rechts um ihn herum. Deren Höhe, Kurs und Geschwindigkeit sind exakt und ich erkenne, dass der Bomber umklammert ist. Als meine Augen sich der Flugrichtung wieder zuwenden, ist da plötzlich ein heller Lichtblitz und eine Rauchwolke hängt dort, wo eben noch das Flugzeug war. Einige wenige brennende Teile fallen trudelnd nach unten. Seine Bombenladung war getroffen worden, und in einem Augenblick sind eine B-17 und seine Besatzung verschwunden, in Stücke gerissen.

Nach wenigen Minuten sind wir über dem Ziel, die Bomben fallen. Flak ist überall um uns herum. Das Krachen naher Explosionen ist zu hören und ihr hässliches rotes Innenleben ist zu sehen, das war nahe. Während des Bombenabwurfes fliegen wir irgendwie durch eine der Rauchmarkierungen, welche unsere transparente Bugsektion und die Astrokuppel mit einer gelblich-grünen Schmiere überzieht und uns die Sicht nimmt.

Wir fliegen vom Ziel ab. Nahe der Elbe, bei Wittenberg, so vermute ich, kommen wir der Stadt und seiner Flak zu nahe . Dann bricht die Hölle los. Wir taumeln nach links und rechts, ich werde durch die Kabine geschleudert und mir wird der Stahlhelm vom Kopf gerissen. Über den Bordfunk kommt erregtes Gebrüll -  ich erfahre, dass einer über uns getroffen wurde, eine seiner Tragflächen ist abgerissen, und dass der B-17 von Lt. Putnam's-Crew der Bug weggeschossen wurde. Wir sind von einer Flak-Batterie erwischt worden, die sich in einem Kahn auf der Elbe oder auf einem Eisenbahnwaggon befand und zwei weitere unserer Flugzeuge sind nicht mehr.

Ich bin zu Tode verängstigt und wegen der verschmierten Kanzel nicht in der Lage zu erkennen was vor sich geht, ich rücke  dem Notausstieg näher. Ich will nicht in einem nach Unten trudelnden Flugzeug gefangen sein, wenn wir getroffen werden.

Innerhalb von Sekunden ist der Zauber vorbei, wir rissen uns zusammen und flogen weiter, ziemlich gut durchgeschüttelt, landeten wohlbehalten, werden abgeladen, ausgefragt, schleppen uns an der Kantine vorbei in unsere Hütten.

Das Letzte woran ich mich an diesen Tag erinnere, ist, dass ich ruhig dasitze und dem Personal-Offizier dabei zusehe, wie er durch Neill‘s Sachen geht. Neill war der Bombenschütze der Putnam-Crew und saß im Bug mit Lt. Esposito, deren Navigator, als sie getroffen wurden. Er war ein großer, ruhiger junger Kerl und sehr würdevoll. Neill und ich waren im Grunde Freunde, ungeachtet der ungeschriebenen Regel im Krieg: ‘Mache dir keine zu engen Freunde‘. Es war das zweite Mal, dass ich diese Regel brach“.

Wie auch die Menschen in deutschen Städten, wie Oranienburg, durchlebten auch die Angreifer der alliierten Bomberverbände die Hölle des Krieges. Doch welcher normale Mensch mag im Angesicht solch durchlittener Schrecken auf beiden Seiten, den Anteil einer Schuld aufzuwiegen. Das einzig Richtige ist, um allen Opfern dieses Krieges gerecht zu werden, gemeinsam ihrer zu gedenken. Dabei sollten auch nicht jene Menschen vergessen werden, denen der Krieg seelischen Schaden zugefügt hatte. Menschen, wie John H. Kirkwood.