Pressemitteilung 23.03.2005
Märkische Allgemeine
Neues Granseer Tageblatt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 



Aus Jägern werden Gejagte

April 45: Fallschirmabsprung über Zehdenick/AG sucht Augenzeugen

Von Rüdiger Kaddatz



Im April 1945 wird der einmotorige Jäger von Valentin Scheuermann irgendwo über Zehdenick abgeschossen. Der junge Soldat überlebt den Fallschirmsprung aus seiner brennenden Maschine schwer verletzt. Ein polnischer Zwangsarbeiter leistet dem deutschen Flugzeugführer erste Hilfe und bringt ihn zu einem nahe gelegenen Hof. Die Bauernfamilie nimmt sich des Verletzten an, der sich später vermutlich im Krankenhaus Zehdenick wiederfindet.
Staffelkamerad Oskar Butenop ereilt dasselbe Schicksal. Er kann jedoch mit seiner Me 109 eine Bauchlandung bei Klein-Mutz hinlegen, östlich des Bahnhofes, die er ohne Blessuren überlebt.
Oskar Butenop und Valentin Scheuermann erfreuen sich bester Gesundheit. Das damals Erlebte verbindet beide bis heute. Valentin Scheuermann sucht jedoch nach den Menschen, die ihm an diesem 20.April 1945 geholfen haben und nach Augenzeugen, die seinen Absturz beobachteten. Mit seiner Geschichte ist er an die Arbeitsgemeinschaft Fliegerschicksale Oranienburg herangetreten. Rüdiger Kaddatz notierte seine Erinnerungen:
Es waren die letzten Apriltage des Jahres 1945. Auf den Flugplätzen in Rechlin, Lärz, Roggentin, Prenzlau und anderen liegen außergewöhnlich viele Jagdgeschwader der deutschen Luftwaffe mit ihren Jägern vom Typ Messerschmitt Me 109 und Focke-Wulf 190. Die Flugzeugführer müssen in diesen Tagen Einsätze gegen sowjetische Bodentruppen fliegen, die bereits die Oder überschritten haben. Die Flugzeugführer wissen, dass der Krieg verloren ist, aber die Befehlsgewalt und der feste Glaube, mit ihren Aktionen der flüchtenden Bevölkerung einen Vorsprung vor der herannahenden Roten Armee zu verschaffen, lässt sie immer wieder in ihre Flugzeuge steigen.
Für Valentin Scheuermann von der III. Gruppe des Jagdgeschwaders 4 geht es in den Morgenstunden wieder los. Die Gruppe erhält Befehl, die aus dem Oderbrückenkopf bei Frankfurt/Oder-Küstrin Richtung Berlin vorstoßende Rote Armee zu bekämpfen.
Die Gruppe fliegt Angriff auf Angriff. Gegen 12 Uhr startet die Gruppe zu einem weiteren Einsatz, sie greifen Panzer und Infanterie sowie den Nachschub im näheren Frontbereich an. Es werden mehrere Tiefangriffe geflogen. Als der Verband auf dem Rückflug nach Rechlin ist, wird er von britischen einmotorigen Jägern vom Typ Spitfire angegriffen. Bei Valentin Scheuermann geht die rote Lampe an – der Sprit wird knapp.
Aufgrund der geflogenen Tiefangriffe hat er kaum noch Munition. Ein Luftkampf ist aussichtslos, plötzlich werden aus Jägern Gejagte. Er versucht sein Glück in der Flucht. Plötzlich wird er getroffen, in 2000 Metern Höhe. Er hört die Einschläge in seine Me 109, es klingt, als ob viele Hämmer auf sein Flugzeug einschlagen, er spürt einen Schlag im Oberschenkel.
Plötzlich Feuer in der Kabine, Valentin Scheuermann mittendrin. Die Flammen schlagen ihm direkt ins Gesicht, der Brandherd liegt zwischen seinen Beinen, dort ist auch die Drei-Zentimeter-Kanone mit der restlichen Munition. Mit der linken Hand versucht er, sein Gesicht vor den Flammen zu schützen, mit der rechten sucht er den Hebel für den Notabwurf des Kabinendaches.
Er findet den Hebel nicht. Die Hitze wird unerträglich, er kann kaum noch atmen. Verzweifelt versucht er, dem Flammenmeer zu entkommen. Er löst den Anschnallgurt und versucht noch mal, das Kabinendach zu öffnen. Diesmal gelingt es auf Anhieb. Er streckt sich und wird in diesem Moment bewusstlos. Durch den Luftsog wird er aus der Maschine gezogen. Als er wieder frische Luft atmet, kommt er zu sich.
Sein Körper überschlägt und dreht sich, es gelingt ihm, die Reißleine zu ziehen. Nach wenigen Augenblicken verspürt er den starken Entfaltungsruck, der Schirm hat sich geöffnet, er ist durch den Brand nicht beschädigt worden. Durch die Verbrennungen im Gesicht sind mittlerweile die Augen zugequollen, die Umgebung kann er nur noch schemenhaft erkennen.
Auf einer Wiese in der Nähe einer Ortschaft (vermutlich Zehdenick), vor einer Scheune oder einem großen Haus, landet er. Der Wind schleift ihn noch ein Stück über den Boden, bevor er den Fallschirm lösen kann. Er versucht aufzustehen, knickt aber immer wieder mit dem rechten Bein ein.
Da kommt plötzlich ein großer kräftiger Mann, wie sich später herausstellte, ein polnischer Zwangsarbeiter, um dem Flugzeugführer mit der versengten Lederkombi und dem verbrannten Gesicht zu helfen. Valentin Scheuermann wird zu einem Haus gebracht. Auf einer Bank vor dem Haus sitzend, schüttet ihm jemand Kartoffelmehl ins Gesicht, seine Augen lassen sich nicht mehr öffnen. Er wird ins Krankenhaus gebracht.
Den Abschuss hat er überlebt, aber schwer verwundet. Ein Einschuss und Splitter im rechten Oberschenkel, Verbrennungen zweiten und dritten Grades im Gesicht, an beiden Händen und an der Rückseite des rechten Oberschenkels. Ein Kind der Bauernfamilie kommt zu Besuch ins Krankenhaus, mit zwei Flaschen Wasser. Das Kind, ob Junge oder Mädchen, kann er aufgrund seiner schweren Augenverletzungen nicht feststellen, es könnte der Stimme nach zu urteilen zwischen zehn und zwölf Jahre alt gewesen sein.
Wer sich an das Datum und die Geschehnisse des Apriltages erinnern kann, wird gebeten, sich an die AG Fliegerschicksale zu wenden, Tel. 03301/701733.