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Aus Jägern
werden Gejagte
April 45:
Fallschirmabsprung über Zehdenick/AG sucht Augenzeugen
Von Rüdiger Kaddatz
Im April 1945 wird der einmotorige Jäger von Valentin Scheuermann irgendwo
über Zehdenick abgeschossen. Der junge Soldat überlebt den
Fallschirmsprung aus seiner brennenden Maschine schwer verletzt. Ein
polnischer Zwangsarbeiter leistet dem deutschen Flugzeugführer erste Hilfe
und bringt ihn zu einem nahe gelegenen Hof. Die Bauernfamilie nimmt sich des
Verletzten an, der sich später vermutlich im Krankenhaus Zehdenick
wiederfindet.
Staffelkamerad Oskar Butenop ereilt dasselbe Schicksal. Er kann jedoch mit
seiner Me 109 eine Bauchlandung bei Klein-Mutz hinlegen, östlich des
Bahnhofes, die er ohne Blessuren überlebt.
Oskar Butenop und Valentin Scheuermann erfreuen sich bester Gesundheit. Das
damals Erlebte verbindet beide bis heute. Valentin Scheuermann sucht jedoch
nach den Menschen, die ihm an diesem 20.April 1945 geholfen haben und nach
Augenzeugen, die seinen Absturz beobachteten. Mit seiner Geschichte ist er
an die Arbeitsgemeinschaft Fliegerschicksale Oranienburg herangetreten. Rüdiger
Kaddatz notierte seine Erinnerungen:
Es waren die letzten Apriltage des Jahres 1945. Auf den Flugplätzen in
Rechlin, Lärz, Roggentin, Prenzlau und anderen liegen außergewöhnlich
viele Jagdgeschwader der deutschen Luftwaffe mit ihren Jägern vom Typ
Messerschmitt Me 109 und Focke-Wulf 190. Die Flugzeugführer müssen in
diesen Tagen Einsätze gegen sowjetische Bodentruppen fliegen, die bereits
die Oder überschritten haben. Die Flugzeugführer wissen, dass der Krieg
verloren ist, aber die Befehlsgewalt und der feste Glaube, mit ihren
Aktionen der flüchtenden Bevölkerung einen Vorsprung vor der herannahenden
Roten Armee zu verschaffen, lässt sie immer wieder in ihre Flugzeuge
steigen.
Für Valentin Scheuermann von der III. Gruppe des Jagdgeschwaders 4 geht es
in den Morgenstunden wieder los. Die Gruppe erhält Befehl, die aus dem
Oderbrückenkopf bei Frankfurt/Oder-Küstrin Richtung Berlin vorstoßende
Rote Armee zu bekämpfen.
Die Gruppe fliegt Angriff auf Angriff. Gegen 12 Uhr startet die Gruppe zu
einem weiteren Einsatz, sie greifen Panzer und Infanterie sowie den
Nachschub im näheren Frontbereich an. Es werden mehrere Tiefangriffe
geflogen. Als der Verband auf dem Rückflug nach Rechlin ist, wird er von
britischen einmotorigen Jägern vom Typ Spitfire angegriffen. Bei Valentin
Scheuermann geht die rote Lampe an – der Sprit wird knapp.
Aufgrund der geflogenen Tiefangriffe hat er kaum noch Munition. Ein
Luftkampf ist aussichtslos, plötzlich werden aus Jägern Gejagte. Er
versucht sein Glück in der Flucht. Plötzlich wird er getroffen, in 2000
Metern Höhe. Er hört die Einschläge in seine Me 109, es klingt, als ob
viele Hämmer auf sein Flugzeug einschlagen, er spürt einen Schlag im
Oberschenkel.
Plötzlich Feuer in der Kabine, Valentin Scheuermann mittendrin. Die Flammen
schlagen ihm direkt ins Gesicht, der Brandherd liegt zwischen seinen Beinen,
dort ist auch die Drei-Zentimeter-Kanone mit der restlichen Munition. Mit
der linken Hand versucht er, sein Gesicht vor den Flammen zu schützen, mit
der rechten sucht er den Hebel für den Notabwurf des Kabinendaches.
Er findet den Hebel nicht. Die Hitze wird unerträglich, er kann kaum noch
atmen. Verzweifelt versucht er, dem Flammenmeer zu entkommen. Er löst den
Anschnallgurt und versucht noch mal, das Kabinendach zu öffnen. Diesmal
gelingt es auf Anhieb. Er streckt sich und wird in diesem Moment bewusstlos.
Durch den Luftsog wird er aus der Maschine gezogen. Als er wieder frische
Luft atmet, kommt er zu sich.
Sein Körper überschlägt und dreht sich, es gelingt ihm, die Reißleine zu
ziehen. Nach wenigen Augenblicken verspürt er den starken Entfaltungsruck,
der Schirm hat sich geöffnet, er ist durch den Brand nicht beschädigt
worden. Durch die Verbrennungen im Gesicht sind mittlerweile die Augen
zugequollen, die Umgebung kann er nur noch schemenhaft erkennen.
Auf einer Wiese in der Nähe einer Ortschaft (vermutlich Zehdenick), vor
einer Scheune oder einem großen Haus, landet er. Der Wind schleift ihn noch
ein Stück über den Boden, bevor er den Fallschirm lösen kann. Er versucht
aufzustehen, knickt aber immer wieder mit dem rechten Bein ein.
Da kommt plötzlich ein großer kräftiger Mann, wie sich später
herausstellte, ein polnischer Zwangsarbeiter, um dem Flugzeugführer mit der
versengten Lederkombi und dem verbrannten Gesicht zu helfen. Valentin
Scheuermann wird zu einem Haus gebracht. Auf einer Bank vor dem Haus
sitzend, schüttet ihm jemand Kartoffelmehl ins Gesicht, seine Augen lassen
sich nicht mehr öffnen. Er wird ins Krankenhaus gebracht.
Den Abschuss hat er überlebt, aber schwer verwundet. Ein Einschuss und
Splitter im rechten Oberschenkel, Verbrennungen zweiten und dritten Grades
im Gesicht, an beiden Händen und an der Rückseite des rechten
Oberschenkels. Ein Kind der Bauernfamilie kommt zu Besuch ins Krankenhaus,
mit zwei Flaschen Wasser. Das Kind, ob Junge oder Mädchen, kann er aufgrund
seiner schweren Augenverletzungen nicht feststellen, es könnte der Stimme
nach zu urteilen zwischen zehn und zwölf Jahre alt gewesen sein.
Wer sich an das Datum und die Geschehnisse des Apriltages erinnern kann,
wird gebeten, sich an die AG Fliegerschicksale zu wenden, Tel. 03301/701733.
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