Pressemitteilung 03.08.2005
Oranienburger Generalanzeiger, 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Beeindruckende Begegnung:

 Ex-Bomber-Pilot Henry D. Chandler am Bombenverdachtspunkt


von Friedhelm Brennecke


„Gott hilft uns“, freut sich Mario Schulze. Gestern war für die Männer der Arbeitsgemeinschaft Fliegerschicksale wieder ein denkwürdiger Tag. Den 2. August wird auch Henry D. Chandler nicht vergessen. Gestern besuchte der frühere US-Bomberpilot zum ersten Mal Oranienburg.
„Bis vor drei Wochen wussten wir nicht einmal, dass Mr. Chandler überhaupt noch lebt. Heute ist er hier und steht am Verdachtspunkt für die 100. Bombe, die nach der Wende in Oranienburg entschärft werden wird“, ist Schulze die Freude über diese Art der Begegnung noch anzusehen. Auch Rüdiger Kaddatz und Uwe Rathenow, die mit Schulze zum „harten Kern“ der AG Fliegerschicksale zählen, sind froh, dass der 85-jährige Gast aus Vermont gekommen ist, um sich den Ort anzuschauen, auf den er vor 60 Jahren auch die Bombenfracht seiner B-17 „Flying Fortress“ entleerte.
Dass Oranienburg zwischen März 1944 und April 1945 Ziel von fast 20 000 alliierten Bomben wurde, macht den Bomber-Piloten von damals betroffen. Aber vor 60 Jahren ging es darum, ein verbrecherisches Regime in die Knie zu zwingen, damit es nicht noch mehr Unheil über Europa und die Welt verbreiten konnte. Dessen war sich der junge Pilot von damals durchaus bewusst.
Heute möchte Chandler, der sich nur mit viel Glück aus seiner über Wittenberge von einer Eisenbahn-Flak abgeschossenen Maschine mit dem Fallschirm retten konnte, mit Bomben nichts mehr zu tun haben. Die Zeiten haben sich gründlich geändert und Amerikaner und Deutsche sind längst Freunde und keine Feinde mehr.
Der freundliche alte Herr lässt sich aber sehr interessiert die Forschungsergebnisse der AG Fliegerschicksale erklären und ist erstaunt über deren akribische Arbeit, „die allein der Aufarbeitung von Geschichte und damit am Ende der Versöhnung dient“, wie Rüdiger Kaddatz betont. An die zehn Jahre sind die Forscher bei der Sache. Oft sei es eine Gratwanderung und natürlich stets eine vertrauensbildende Arbeit, um Zeitzeugen auch an die Orte der damaligen Bombardements zu holen, so Kaddatz.
Voller Aufmerksamkeit verfolgt Chandler die Erklärungen von Sprengmeister Hans-Jürgen Weise, der mit seinen Kollegen seit Jahr und Tag die gefährlichen Dinger entschärft, die alliierte Bomber über Oranienburg abgeworfen haben. „Die haben doch damals auch nur ihre Pflicht getan“, hegt Weise keinen Groll. Dass es hier noch so viele Blindgänger gebe, habe damit zu tun, dass die Bomben im weichen Boden oft wieder Auftrieb bekommen hätten. Dadurch sei das Azeton, das den Zündmechanismus habe auslösen sollen quasi zurückgeflossen und sie seien nicht detoniert.
Chandler zeigt sich von den aufwändigen Arbeiten am Bombenverdachtspunkt in der Lehnitzstraße beeindruckt. Auch Barry Lewis ist es, der Sohn des Piloten Frank E. Lewis, der aus gesundheitlichen Gründen nicht zu Gast sein konnte. Eine Bombe aus Lewis‘ Flieger ging am10. April 1945 in Sachsenhausen nieder. „Direkt vor meiner Haustür“, erinnert sich Manfred Bittkau, der Oranienburg am 11. April verließ, nach Amerika auswanderte, die Staatsbürgerschaft annahm und 1991 wieder in seine alte Heimat zurückkehrte. Er ist nicht nur Zeitzeuge, sondern auch perfekter Dolmetscher.