Pressemitteilungen
Datum:   06.02.2003
Ressort:   Lokales
Autor:   Jörg Kunzendorf, Susanne Rost

 

Vermisster kehrt nach 58 Jahren heim

Belgischer Pilot starb 1945 bei Oranienburg / Freizeitforscher klärten Schicksal des Verschollenen

FRIEDRICHSTHAL. Die schwarz-gelb-rote Fahne Belgiens bedeckt den Sarg, der an diesem Mittwochmittag in der Kirche des Dorfes Friedrichsthal bei Oranienburg aufgebahrt ist. Es ist der Sarg des Piloten Jacques Groensteen. Der Belgier, der im Zweiten Weltkrieg für die britische Royal Air Force kämpfte, wurde nur 22 Jahre alt. Ernst blickt er auf dem Schwarzweißfoto, das auf seinem Sarg steht. Die Kappe seiner Uniform sitzt leicht schräg auf seinem dunklen Haar. Davor liegen die sechs Militärorden, die ihm verliehen wurden. Jacques Groensteen starb wenige Tage vor Kriegsende 1945. Er stürzte am 20. April mit seinem Jagdflugzeug unweit von Friedrichsthal ab, als er einen Einsatz flog. Fast 60 Jahre lang lagen seine Gebeine in einer Wiese unweit der Absturzstelle. Seine Familie in Belgien erfuhr jahrzehntelang nicht, was aus ihm geworden ist. Erst vor einigen Monaten bekam sie Gewissheit.

Seelenfrieden hergestellt

Zu verdanken hat sie das der "Arbeitsgemeinschaft (AG) Fliegerschicksale Oranienburg", einem Zusammenschluss dreier Männer aus Oranienburg. Das Hobby von Rüdiger Kaddatz (48), Mario Schulze (35) und Uwe Rathenow (49) ist es, die Schicksale der Piloten aufzuklären, die nach Einsätzen bei Oranienburg vermisst werden. Sie befragen Zeitzeugen und dokumentieren Absturzstellen. Sie untersuchen Wrackteile und ermitteln den Flugzeugtyp. Sie recherchieren in Archiven und bei Behörden - bis sie wissen, auf wessen Flugzeug sie gestoßen sind. Dann informieren sie oder Behörden und Botschaften die Angehörigen der Flugzeugbesatzungen. "Die Familien reagieren eher freudig", sagt Mario Schulze. "Mein Seelenfrieden ist wiederhergestellt", habe ihm die Schwester eines Piloten einmal gesagt.

Die vor vier Jahren gegründete Arbeitsgemeinschaft geht derzeit etwa 40 bis 50 Flugzeugabstürzen nach. "Die Nationalität interessiert uns dabei nicht, es geht uns um die Menschen", sagt Schulze. Jacques  Groensteen war der zweite Pilot, dessen Name durch die Hilfe der AG von der langen Liste der Vermissten gestrichen werden konnte. Doch nur im Fall Groensteen gab es bislang eine Gedenkfeier wie die am Mittwoch in Friedrichsthal. "Das ist zweifellos der bisherige Höhepunkt unserer Arbeitsgemeinschaft", sagt Schulze bei der Zeremonie.

Neun Angehörige der Familie des Piloten sind in die kleine Kirche gekommen, auch der Botschafter und der Militärattaché des Königreiches Belgien nehmen auf den Kirchenbänken Platz. Belgische und britische Militärs salutieren neben dem Sarg des lange vermissten Piloten. Die belgische Nationalhymne erklingt. Auch Vertreter der Bundeswehr nehmen an der Zeremonie teil. Dem Sarg am nähesten sitzt Paul Boddin. "Das ist ein sehr bewegender Tag", sagt der 79-jährige Belgier. Boddin ist der Neffe des Verunglückten. Er kannte Groensteen persönlich. Er habe nicht mehr damit gerechnet, dass sich dessen Schicksal noch einmal aufklärt.

Minister empfängt Sarg in Brüssel

Unter Ehrengeleit wird Groensteens Sarg am Mittwoch nach Brüssel geflogen, wo ihn der belgische Verteidigungsminister in Empfang nehmen wird.

"Das Engagement der AG ist sehr wertvoll", sagt der belgische Militärattaché Yvan Vandenbosch. Die drei Männer hätten viel Zeit und Geld in die Recherche investiert. So reisten die drei Männer zweimal nach England, um dort herauszufinden, von welchem Flugzeugtyp die Wrackteile stammten, die Forstarbeiter im Jahr 2000 entdeckt hatten. An der Absturzstelle stieß die AG auch auf menschliche Knochen, auf die Fliegerbrille des Piloten und Teile seiner Sauerstoffmaske. Seine Erkennungsmarke blieb jedoch verschwunden. Aber nach Recherchen der AG ist nur eine einzige "Spitfire" der gefundenen Version nahe Oranienburg abgestürzt, nämlich die von Groensteen.

Doch es dauerte lange, das herauszufinden. "Aber wenn man in einem solchen Fall einmal mit der Recherche begonnen hat", sagt Schulze, "dann lässt er einen nicht mehr los."

 

Letzte Ruhe auf Luftwaffenfriedhof Brüssel // Der Belgier Jacques Groensteen, geboren am 23. Oktober 1922, trat 1942 in die Royal Air Force ein.

Am 20. April 1945 flog er zu einem Jagdeinsatz von Celle aus in den Großraum Berlin. Aufgrund eines Flugfehlers stürzte er mit seiner "Spitfire" nahe Oranienburg ab.

Im Jahre 2000 fanden Waldarbeiter Wrackteile einer abgestürzten Maschine. Daraufhin begann die "AG Fliegerschicksale Oranienburg" mit ihrer Recherche. Zwei Jahre später stand fest, dass es sich um Groensteens Maschine handelte.

Am Mittwoch wurde des Piloten in Friedrichsthal gedacht. Noch am gleichen Tag wurde sein Sarg nach Brüssel überführt. Dort wird er auf dem Luftwaffenfriedhof beigesetzt.

BERLINER ZEITUNG/JÖRG KUNZENDORF Groensteens Sarg wurde in der Friedrichsthaler Kirche aufgebahrt.

 

 

Quelle :BERLINER ZEITUNG