Vermisster kehrt nach 58 Jahren heim
Belgischer Pilot starb 1945 bei Oranienburg / Freizeitforscher klärten
Schicksal des Verschollenen
FRIEDRICHSTHAL. Die schwarz-gelb-rote Fahne Belgiens bedeckt den Sarg,
der an diesem Mittwochmittag in der Kirche des Dorfes Friedrichsthal bei
Oranienburg aufgebahrt ist. Es ist der Sarg des Piloten Jacques Groensteen.
Der Belgier, der im Zweiten Weltkrieg für die britische Royal Air Force kämpfte,
wurde nur 22 Jahre alt. Ernst blickt er auf dem Schwarzweißfoto, das auf
seinem Sarg steht. Die Kappe seiner Uniform sitzt leicht schräg auf
seinem dunklen Haar. Davor liegen die sechs Militärorden, die ihm
verliehen wurden. Jacques Groensteen starb wenige Tage vor Kriegsende
1945. Er stürzte am 20. April mit seinem Jagdflugzeug unweit von
Friedrichsthal ab, als er einen Einsatz flog. Fast 60 Jahre lang lagen
seine Gebeine in einer Wiese unweit der Absturzstelle. Seine Familie in
Belgien erfuhr jahrzehntelang nicht, was aus ihm geworden ist. Erst vor
einigen Monaten bekam sie Gewissheit.
Seelenfrieden hergestellt
Zu verdanken hat sie das der "Arbeitsgemeinschaft (AG)
Fliegerschicksale Oranienburg", einem Zusammenschluss dreier Männer
aus Oranienburg. Das Hobby von Rüdiger Kaddatz (48), Mario Schulze (35)
und Uwe Rathenow (49) ist es, die Schicksale der Piloten aufzuklären, die
nach Einsätzen bei Oranienburg vermisst werden. Sie befragen Zeitzeugen
und dokumentieren Absturzstellen. Sie untersuchen Wrackteile und ermitteln
den Flugzeugtyp. Sie recherchieren in Archiven und bei Behörden - bis sie
wissen, auf wessen Flugzeug sie gestoßen sind. Dann informieren sie oder
Behörden und Botschaften die Angehörigen der Flugzeugbesatzungen.
"Die Familien reagieren eher freudig", sagt Mario Schulze.
"Mein Seelenfrieden ist wiederhergestellt", habe ihm die
Schwester eines Piloten einmal gesagt.
Die vor vier Jahren gegründete Arbeitsgemeinschaft geht derzeit etwa
40 bis 50 Flugzeugabstürzen nach. "Die Nationalität interessiert
uns dabei nicht, es geht uns um die Menschen", sagt Schulze. Jacques
Groensteen war der zweite Pilot, dessen Name durch die Hilfe der AG von
der langen Liste der Vermissten gestrichen werden konnte. Doch nur im Fall
Groensteen gab es bislang eine Gedenkfeier wie die am Mittwoch in
Friedrichsthal. "Das ist zweifellos der bisherige Höhepunkt unserer
Arbeitsgemeinschaft", sagt Schulze bei der Zeremonie.
Neun Angehörige der Familie des Piloten sind in die kleine Kirche
gekommen, auch der Botschafter und der Militärattaché des Königreiches
Belgien nehmen auf den Kirchenbänken Platz. Belgische und britische Militärs
salutieren neben dem Sarg des lange vermissten Piloten. Die belgische
Nationalhymne erklingt. Auch Vertreter der Bundeswehr nehmen an der
Zeremonie teil. Dem Sarg am nähesten sitzt Paul Boddin. "Das ist ein
sehr bewegender Tag", sagt der 79-jährige Belgier. Boddin ist der
Neffe des Verunglückten. Er kannte Groensteen persönlich. Er habe nicht
mehr damit gerechnet, dass sich dessen Schicksal noch einmal aufklärt.
Minister empfängt Sarg in Brüssel
Unter Ehrengeleit wird Groensteens Sarg am Mittwoch nach Brüssel
geflogen, wo ihn der belgische Verteidigungsminister in Empfang nehmen
wird.
"Das Engagement der AG ist sehr wertvoll", sagt der belgische
Militärattaché Yvan Vandenbosch. Die drei Männer hätten viel Zeit und
Geld in die Recherche investiert. So reisten die drei Männer zweimal nach
England, um dort herauszufinden, von welchem Flugzeugtyp die Wrackteile
stammten, die Forstarbeiter im Jahr 2000 entdeckt hatten. An der
Absturzstelle stieß die AG auch auf menschliche Knochen, auf die
Fliegerbrille des Piloten und Teile seiner Sauerstoffmaske. Seine
Erkennungsmarke blieb jedoch verschwunden. Aber nach Recherchen der AG ist
nur eine einzige "Spitfire" der gefundenen Version nahe
Oranienburg abgestürzt, nämlich die von Groensteen.
Doch es dauerte lange, das herauszufinden. "Aber wenn man in einem
solchen Fall einmal mit der Recherche begonnen hat", sagt Schulze,
"dann lässt er einen nicht mehr los."
Letzte Ruhe auf Luftwaffenfriedhof Brüssel // Der Belgier Jacques
Groensteen, geboren am 23. Oktober 1922, trat 1942 in die Royal Air Force
ein.
Am 20. April 1945 flog er zu einem Jagdeinsatz von Celle aus in den Großraum
Berlin. Aufgrund eines Flugfehlers stürzte er mit seiner "Spitfire"
nahe Oranienburg ab.
Im Jahre 2000 fanden Waldarbeiter Wrackteile einer abgestürzten
Maschine. Daraufhin begann die "AG Fliegerschicksale
Oranienburg" mit ihrer Recherche. Zwei Jahre später stand fest, dass
es sich um Groensteens Maschine handelte.
Am Mittwoch wurde des Piloten in Friedrichsthal gedacht. Noch am
gleichen Tag wurde sein Sarg nach Brüssel überführt. Dort wird er auf
dem Luftwaffenfriedhof beigesetzt.
BERLINER ZEITUNG/JÖRG KUNZENDORF Groensteens Sarg wurde in der
Friedrichsthaler Kirche aufgebahrt.
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