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Vor
Berlin verschollen beim letzten Einsatz,
Freizeit-Historiker
erhellen Schicksal von australisch-englischer Bomber-Besatzuung
Von
Helge Treichel
"Es
ist unser erster Fall, den wir bis ins Detail lösen werden und dazu unser
kompliziertester." Mit berechtigtem Stolz blickt Mario Schulze auf
eine vierjährige Forschungsarbeit zurück. Gemeinsam mit einigen
gleichgesinnten Freizeit-Historikern hat der 33-Jährige das Schicksal
eines bislang verschollenen Lancaster-Bombers aufklären können, der in
der Nacht zum 29. Januar 1944 im englischen Waddington gestartet und noch
vor Erreichen der damaligen Reichshauptstadt über Schmachtenhagen
abgeschossen worden war.
Das
erste Wrackteil hatte Rüdiger Kaddatz im Herbst 1997 in einem Waldstück
gefunden. Nach mühevoller Kleinarbeit können die an der Absturzstelle
geborgenen sterblichen Überreste der siebenköpfigen Besatzung nun mit
militärischen Ehren auf einem Berliner Militärfriedhof beigesetzt werden
- in namentlich bezeichneten Gräbern.
"Für
uns ist es interessant, etwas über die Menschen zu erfahren, deren
Absturzstelle wir finden", sagt Rüdiger Kaddatz. Dabei geht die
kleine Gruppe völlig neutral vor. Es sei gar nicht wichtig, aus welchem
Land die jeweilige Besatzung stamme.
Bei
ihren Recherchen erfuhren die Freizeit-Forscher von einer besonderen
Tragik der bei Schmachtenhagen getöteten Männer. Sie befanden sich auf
ihrem 27. Einsatz. Für die vier Australier war es der letzte Auftrag vor
ihrer Versetzung in eine andere Einheit. Die Chance, über Deutschland
abgeschossen zu werden, war so groß, dass Flieger nie mehr als
30solcher Flüge absolvieren durften.
Den Seelenfrieden
hergestellt
In der Nacht vom 28. zum
29. Januar 1944 nahmen insgesamt 677 Flugzeuge Kurs auf Berlin, darunter
432 Lancaster-Bomber und 241 Halifax. 46 Flugzeuge wurden von
Flak-Stellungen und Nachtjägern abgeschossen. Sieben Maschinen blieben
jahrzehntelang verschollen.
Als vermisst galten seit dieser Nacht auch vier Australier, die zur
siebenköpfigen Besatzung einer Lancaster mit der Nummer ED867 zählten.
Den Familien war nichts bekannt über den Verbleib ihrer Angehörigen. Bis
jetzt.
Nach 57 Jahren und mühevoller Kleinarbeit konnte eine Gruppe
Oranienburger Geschichtsforscher das Geheimnis der Besatzung stückweise
aufklären. Mit dem Fall befasst sich mittlerweile auch eine Kommission
des australischen Verteidigungsministeriums. Es wurden die Überreste von
drei, möglicherweise
vier Besatzungsmitgliedern inmitten der Flugzeug-Wrackreste geborgen.
Australische Gerichtsmediziner sollen im Oktober nach Berlin kommen, um
die Flieger über eine DNA-Analyse endgültig zu identifizieren. Danach
werden die Toten ein eigenes Grab erhalten und mit militärischen Ehren
beigesetzt.
Nachdem das Schicksal der Crew von ED867 jahrzehntelang im Dunkeln lag,
war im Herbst 1997 ein erster Lichtschimmer darauf gefallen. Auf einem
frisch aufgepflügten Waldbrandstreifen zwischen Lehnitz und
Schmachtenhagen hatte der Freizeithistoriker Rüdiger Kaddatz das Bruchstück
eines Flugzeugs
gefunden. Kein Zufall, denn er und seine Mitstreiter haben bereits Reste
von 14 Kriegsflugzeugen geborgen, die im näheren Umfeld abgestürzt sind.
Auch diesmal lagen weitere Teile verstreut, darunter eine runde Klappe mit
englischer Schrift. Recht schnell konnte mit Hilfe eines Flugzeugfachmanns
die Zugehörigkeit zu einer Lancaster ermittelt werden. Baureihe: "MKIII".
In den Monaten darauf folgten unzählige Recherchestunden in deutschen und
englischen Archiven. Originaldokumente und historische Luftbilder wurden
ausgewertet. Auf Fotos vom 22.März 1945 und 19.September 1944 war der
gewaltige Absturz-Krater genau auszumachen. Immerhin, so stellte sich später
heraus hatte die 30 Tonnen schwere Lancaster drei Tonnen Sprengbomben, 900
Luftminen á 2Kilogramm sowie 15Kilogramm Phosphorbomben an Bord. Die
explodierten beim Aufprall ebenso wie die Flugzeugtanks.
Die Nachforschungen der kleinen Gruppe steckten trotz aller Bemühungen in
der Sackgasse. Bis zu dem Tag, als ein Lehnitzer Mitstreiter im Sommer
1999 an der Absturzstelle eine Fallschirmschnur aus dem Erdreich ragen
sah. Er zog und grub vorsichtig - und stieß in 50 Zentimeter Tiefe auf
menschliche
Überreste. Am Tag darauf, am 13.Juli, erschien Erwin Kowalke, Umbetter
vom Volksbund der Deutschen Kriegsgräberfürsorge. Mit Hilfe von Soldaten
und Technik der Bundeswehr konnten in dem ehemaligen
Sperrgebiet weitere Skelettteile geborgen werden. "In der Hoffnung,
eine Erkennungsmarke zu finden, haben wir in den zwei Monaten danach im
Einvernehmen mit dem Volksbund noch rund 250 Stunden lang den Abraum
durchgesiebt", sagt Rüdiger Kaddatz.
Mit den dabei gefundenen Gebissfragmenten konnte eine Expertise
angefertigt werden. Obgleich genug mit Arbeit eingedeckt, übernahm Derk
Martens vom Oranienburger Dentalstudio zur großen Freude der
Freizeitforscher die Analyse-Aufgabe. Drei verschiedene Gebisse konnte er
unterscheiden. Da aber die Männer und das Flugzeug nicht identifiziert
werden konnten, wurden die sterblichen Überrreste am 14.Juni vergangenen
Jahres mit militärischem Zeremoniell auf dem britischen Militärfriedhof
an der Berliner Heerstraße beigesetzt.
Geforscht wurde aber weiter. Der Absturzzeitraum konnte auf ein Jahr
eingegrenzt werden. Bombenreste verrieten, dass die Lancaster die
Reichshauptstadt nicht erreicht hatte und von Norden her angeflogen sein
musste. Die Möglichkeiten reduzierten sich auf fünf Angriffe und 19
vermisste Flugzeuge.
"Dann kam im November 2000 ein wichtiger Hinweis", so Mario
Schulze. Der Oranienburger Pfarrer Reinhard Röhm übergab den Brief einer
Engländerin, die nach dem Schicksal ihres Onkels Harold Leonhard Fry
(Navigator) forschte und um Hilfe bat. Tatsächlich tauchte dieser Name in
einer der fünf Besatzungslisten auf, jener der Lancaster ED 867!
"Ein Hammer" war für die hiesigen Freizeitforscher, als ihnen
die Engländerin den endgültigen Beweis schickte - die Kopie einer
Karteikarte der "Fliegerhorskommandantur Finow/Mark". Darauf
sind die Sachen aufgelistet, die bei einem am 29. Januar 1944 gefundenen
Leichnam sichergestellt wurden. Anhand seines Hemdes wurde der Tote als
Sidney J. Griffith identifiziert, der zur ED867-Crew gehörte. Gemeinsam
mit zwei Unbekannten war er in Birkenwerder beigesetzt, später nach
Berlin umgebettet worden. Genau vermerkt ist der Abschussort der
Lancaster: "Schmachtenhagen, Jagen 233". Diese sehr genaue Flächenangabe
stimmt überein mit dem Fundort.
Über Suchanzeigen und eine australische Radio-Reportage wurde kurz vor
Ostern dieses Jahres nach Angehörigen der übrigen Soldaten gefahndet.
Mit Erfolg. Es meldete sich die 83-jährige Betty James aus Adelaide.
Selbst bei der Royal Australian Air Force (RAAF), hatte sie nie loslassen
können vom geliebten Bruder Ivan Durston. Sein Bild trug sie noch immer
bei sich. Dass der Pilot von ED867 nach fast 60 Jahren gefunden wurde,
habe ihr und ihrer Familie endlich Frieden gegeben, berichtete sie vor ein
paar Tagen einem
australischen Reporter: "Ich dachte immer, er sei über dem Meer
verschollen. Wenn er jetzt offiziell beerdigt wird, sind wir zufrieden.
Ich werde nicht dafür sorgen, dass er nach Hause gebracht wird. Es genügt,
wenn er beerdigt ist. Es schließt ein Kapitel. Der Seelenfrieden ist
hergestellt."
RAAF 467 Squadron
Die
467. Schwadron der Royal Australian Air Force bestand zumeist aus
Australiern. In die Truppe eingegliedert waren jedoch auch viele Briten,
Neuseeländer, Kanadier und Inder.
Die
Todesrate war hoch: Die 467. Schwadron verlor 178 ihrer insgesamt 432
Besatzungen. Außerdem kehrten während des Zweiten Weltkrieges 103
Flugzeuge und 721 Crew-Mitglieder nicht mehr von ihren Einsätzen zurück.
282 von ihnen waren Australier.
Zu
den höchsten Auszeichnungen, die von der Einheit errungen werden konnten,
gehören146 Distinguished Flying Crosses (DFCs), vergleichbar mit dem
deutschen "Ritterkreuz". Auch Flight Lieutenant Ivan Durston
trug das DFC, veröffentlicht wurde dies in der australischen Presse am
Tag seines letzten Starts nach Berlin.
Insgesamt
sind während des Zweiten Weltkrieges ungefähr 1.300 australische Flieger
als vermisst ("missing in action") registriert worden.
Die
Besatzung der Lancaster ED 867 aus dem Schmachtenhagener Forst war sehr
jung. Die meisten waren zwischen 20 und 22 Jahre alt. Der Älteste an Bord
war Ivan Durston. Er hatte vier Tage vor seinem Tod seinen 32. Geburtstag
gefeiert.
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