Pressemitteilungen Märkische Allgemeine, 17.08.2001

Vor Berlin verschollen beim letzten Einsatz,

 

Freizeit-Historiker erhellen Schicksal von australisch-englischer Bomber-Besatzuung

 

Von Helge Treichel

 

"Es ist unser erster Fall, den wir bis ins Detail lösen werden und dazu unser kompliziertester." Mit berechtigtem Stolz blickt Mario Schulze auf eine vierjährige Forschungsarbeit zurück. Gemeinsam mit einigen gleichgesinnten Freizeit-Historikern hat der 33-Jährige das Schicksal eines bislang verschollenen Lancaster-Bombers aufklären können, der in der Nacht zum 29. Januar 1944 im englischen Waddington gestartet und noch vor Erreichen der damaligen Reichshauptstadt über Schmachtenhagen abgeschossen worden war.

Das erste Wrackteil hatte Rüdiger Kaddatz im Herbst 1997 in einem Waldstück gefunden. Nach mühevoller Kleinarbeit können die an der Absturzstelle geborgenen sterblichen Überreste der siebenköpfigen Besatzung nun mit militärischen Ehren auf einem Berliner Militärfriedhof beigesetzt werden - in namentlich bezeichneten Gräbern.

"Für uns ist es interessant, etwas über die Menschen zu erfahren, deren Absturzstelle wir finden", sagt Rüdiger Kaddatz. Dabei geht die kleine Gruppe völlig neutral vor. Es sei gar nicht wichtig, aus welchem Land die jeweilige Besatzung stamme.

Bei ihren Recherchen erfuhren die Freizeit-Forscher von einer besonderen Tragik der bei Schmachtenhagen getöteten Männer. Sie befanden sich auf ihrem 27. Einsatz. Für die vier Australier war es der letzte Auftrag vor ihrer Versetzung in eine andere Einheit. Die Chance, über Deutschland abgeschossen zu werden, war so groß, dass Flieger nie mehr als  30solcher Flüge absolvieren durften.

Den Seelenfrieden hergestellt

In der Nacht vom 28. zum 29. Januar 1944 nahmen insgesamt 677 Flugzeuge Kurs auf Berlin, darunter 432 Lancaster-Bomber und 241 Halifax. 46 Flugzeuge wurden von Flak-Stellungen und Nachtjägern abgeschossen. Sieben Maschinen blieben jahrzehntelang verschollen.
Als vermisst galten seit dieser Nacht auch vier Australier, die zur siebenköpfigen Besatzung einer Lancaster mit der Nummer ED867 zählten. Den Familien war nichts bekannt über den Verbleib ihrer Angehörigen. Bis jetzt.
Nach 57 Jahren und mühevoller Kleinarbeit konnte eine Gruppe Oranienburger Geschichtsforscher das Geheimnis der Besatzung stückweise aufklären. Mit dem Fall befasst sich mittlerweile auch eine Kommission des australischen Verteidigungsministeriums. Es wurden die Überreste von drei, möglicherweise
vier Besatzungsmitgliedern inmitten der Flugzeug-Wrackreste geborgen.
Australische Gerichtsmediziner sollen im Oktober nach Berlin kommen, um die Flieger über eine DNA-Analyse endgültig zu identifizieren. Danach werden die Toten ein eigenes Grab erhalten und mit militärischen Ehren beigesetzt.
Nachdem das Schicksal der Crew von ED867 jahrzehntelang im Dunkeln lag, war im Herbst 1997 ein erster Lichtschimmer darauf gefallen. Auf einem frisch aufgepflügten Waldbrandstreifen zwischen Lehnitz und Schmachtenhagen hatte der Freizeithistoriker Rüdiger Kaddatz das Bruchstück eines Flugzeugs
gefunden. Kein Zufall, denn er und seine Mitstreiter haben bereits Reste von 14 Kriegsflugzeugen geborgen, die im näheren Umfeld abgestürzt sind. Auch diesmal lagen weitere Teile verstreut, darunter eine runde Klappe mit englischer Schrift. Recht schnell konnte mit Hilfe eines Flugzeugfachmanns
die Zugehörigkeit zu einer Lancaster ermittelt werden. Baureihe: "MKIII".
In den Monaten darauf folgten unzählige Recherchestunden in deutschen und englischen Archiven. Originaldokumente und historische Luftbilder wurden ausgewertet. Auf Fotos vom 22.März 1945 und 19.September 1944 war der gewaltige Absturz-Krater genau auszumachen. Immerhin, so stellte sich später
heraus hatte die 30 Tonnen schwere Lancaster drei Tonnen Sprengbomben, 900 Luftminen á 2Kilogramm sowie 15Kilogramm Phosphorbomben an Bord. Die explodierten beim Aufprall ebenso wie die Flugzeugtanks.
Die Nachforschungen der kleinen Gruppe steckten trotz aller Bemühungen in der Sackgasse. Bis zu dem Tag, als ein Lehnitzer Mitstreiter im Sommer 1999 an der Absturzstelle eine Fallschirmschnur aus dem Erdreich ragen sah. Er zog und grub vorsichtig - und stieß in 50 Zentimeter Tiefe auf menschliche
Überreste. Am Tag darauf, am 13.Juli, erschien Erwin Kowalke, Umbetter vom Volksbund der Deutschen Kriegsgräberfürsorge. Mit Hilfe von Soldaten und Technik der Bundeswehr konnten in dem ehemaligen
Sperrgebiet weitere Skelettteile geborgen werden. "In der Hoffnung, eine Erkennungsmarke zu finden, haben wir in den zwei Monaten danach im Einvernehmen mit dem Volksbund noch rund 250 Stunden lang den Abraum durchgesiebt", sagt Rüdiger Kaddatz.
Mit den dabei gefundenen Gebissfragmenten konnte eine Expertise angefertigt werden. Obgleich genug mit Arbeit eingedeckt, übernahm Derk Martens vom Oranienburger Dentalstudio zur großen Freude der Freizeitforscher die Analyse-Aufgabe. Drei verschiedene Gebisse konnte er unterscheiden. Da aber die Männer und das Flugzeug nicht identifiziert werden konnten, wurden die sterblichen Überrreste am 14.Juni vergangenen Jahres mit militärischem Zeremoniell auf dem britischen Militärfriedhof an der Berliner Heerstraße beigesetzt.
Geforscht wurde aber weiter. Der Absturzzeitraum konnte auf ein Jahr eingegrenzt werden. Bombenreste verrieten, dass die Lancaster die Reichshauptstadt nicht erreicht hatte und von Norden her angeflogen sein musste. Die Möglichkeiten reduzierten sich auf fünf Angriffe und 19 vermisste Flugzeuge.
"Dann kam im November 2000 ein wichtiger Hinweis", so Mario Schulze. Der Oranienburger Pfarrer Reinhard Röhm übergab den Brief einer Engländerin, die nach dem Schicksal ihres Onkels Harold Leonhard Fry (Navigator) forschte und um Hilfe bat. Tatsächlich tauchte dieser Name in einer der fünf Besatzungslisten auf, jener der Lancaster ED 867!
"Ein Hammer" war für die hiesigen Freizeitforscher, als ihnen die Engländerin den endgültigen Beweis schickte - die Kopie einer Karteikarte der "Fliegerhorskommandantur Finow/Mark". Darauf sind die Sachen aufgelistet, die bei einem am 29. Januar 1944 gefundenen Leichnam sichergestellt wurden. Anhand seines Hemdes wurde der Tote als Sidney J. Griffith identifiziert, der zur ED867-Crew gehörte. Gemeinsam mit zwei Unbekannten war er in Birkenwerder beigesetzt, später nach Berlin umgebettet worden. Genau vermerkt ist der Abschussort der Lancaster: "Schmachtenhagen, Jagen 233". Diese sehr genaue Flächenangabe stimmt überein mit dem Fundort.
Über Suchanzeigen und eine australische Radio-Reportage wurde kurz vor Ostern dieses Jahres nach Angehörigen der übrigen Soldaten gefahndet. Mit Erfolg. Es meldete sich die 83-jährige Betty James aus Adelaide. Selbst bei der Royal Australian Air Force (RAAF), hatte sie nie loslassen können vom geliebten Bruder Ivan Durston. Sein Bild trug sie noch immer bei sich. Dass der Pilot von ED867 nach fast 60 Jahren gefunden wurde, habe ihr und ihrer Familie endlich Frieden gegeben, berichtete sie vor ein paar Tagen einem
australischen Reporter: "Ich dachte immer, er sei über dem Meer verschollen. Wenn er jetzt offiziell beerdigt wird, sind wir zufrieden. Ich werde nicht dafür sorgen, dass er nach Hause gebracht wird. Es genügt, wenn er beerdigt ist. Es schließt ein Kapitel. Der Seelenfrieden ist hergestellt."

RAAF 467 Squadron

Die 467. Schwadron der Royal Australian Air Force bestand zumeist aus Australiern. In die Truppe eingegliedert waren jedoch auch viele Briten, Neuseeländer, Kanadier und Inder.

Die Todesrate war hoch: Die 467. Schwadron verlor 178 ihrer insgesamt 432 Besatzungen. Außerdem kehrten während des Zweiten Weltkrieges 103 Flugzeuge und 721 Crew-Mitglieder nicht mehr von ihren Einsätzen zurück. 282 von ihnen waren Australier.

Zu den höchsten Auszeichnungen, die von der Einheit errungen werden konnten, gehören146 Distinguished Flying Crosses (DFCs), vergleichbar mit dem deutschen "Ritterkreuz". Auch Flight Lieutenant Ivan Durston trug das DFC, veröffentlicht wurde dies in der australischen Presse am Tag seines letzten Starts nach Berlin.

Insgesamt sind während des Zweiten Weltkrieges ungefähr 1.300 australische Flieger als vermisst ("missing in action") registriert worden.

Die Besatzung der Lancaster ED 867 aus dem Schmachtenhagener Forst war sehr jung. Die meisten waren zwischen 20 und 22 Jahre alt. Der Älteste an Bord war Ivan Durston. Er hatte vier Tage vor seinem Tod seinen 32. Geburtstag gefeiert.