|
|
Fliegerschicksale
Abgeschossen beim Angriff auf
Oranienburg
Von Volkmar Ernst
Oranienburg
Mario Schulze ist Mitglied der Arbeitsgruppe
"Fliegerschicksale", deren Ziel es ist, viele Informationen im
Zusammenhang mit den Luftangriffen auf Oranienburg und das Schicksal der
Flugzeugbesatzungen zusammenzutragen. Dabei haben die Mitglieder der
Arbeitsgruppe die zwei Amerikaner Frank Lewis und Joe Peterburs ausfindig
gemacht, die den Angriffen im April 1945 auf Oranienburg dabei waren. Die
Maschinen der beiden Soldaten wurden im Verlauf der Kampfhandlungen
abgeschossen. Doch sie konnten sich aus den Flugzeugen retten und
gerieten in Gefangenschaft.
"Two little German girls"
halfen Flieger
Oranienburg: Arbeitsgemeinschaft
"Fliegerschicksale" stellte Kontakte zwischen ehemaligen
Soldaten her
Von Mario Schulze
Oranienburg
"Die Geschichte hat Lektionen für jederman." Mit diesem Satz
beginnt der 79-jährige Amerikaner Frank E. Lewis seinen Bericht über die
Ereignisse in den Kriegstagen 1945, als er über Oranienburg abgeschossen
worden war. Am Vormittag des 10. April 1945 hob eine Streitmacht von 1315
Bombern und 853 Jagdflugzeugen der US Air Force von den Plätzen in
England und den befreiten Gebieten Europas ab, um Flugplätze der
Luftwaffe im Osten Deutschlands und im Raum Berlin zu bombardieren.
Vorrangiges Ziel war, die Startbasen der deutschen Düsenjäger, der
Me-262, zu zerstören. Der Oranienburger Flugplatz war einer davon. Doch
ein anderes Ziel in diesem Raum stand ebenfalls auf der Liste der
Alliierten, das SS-Feldzeug-Depot und die dazugehörenden Klinkerwerke in
Oranienburg. Auf dieses Ziel waren 294 B-17 "Flying Fortress"
angesetzt.
Der
21-jährige Staff Sergeant Frank E. Lewis aus Macon, Virginia, sitzt im
Bug eines Bombers, der zur Führungsgruppe der 398. Bombergruppe gehört.
Er ist der Bombenschütze und es ist sein 34. Kampfeinsatz, noch einen
muss er absolvieren, dann kann er nach Hause. Mit seinem Jagdflugzeug P-51
Mustang begleitet der 20-jährige Leutnant Joe Peterburs von der 20. Jägergruppe
die Bomber. Es ist sein 49. Kampfeinsatz. Die beiden Männer werden sich
in wenigen Tagen unter ungünstigen Verhältnissen begegnen - in einem
deutschen Kriegsgefangenlager.
Im
Raum Wittenberge beginnt der Zielanflug. "Wir waren 90 Sekunden vom
Ziel entfernt", berichtet Lewis, "als uns die deutschen Düsenjäger
angriffen. Ich hatte schon die Klappen des Bombenschachts geöffnet, da
bekamen wir Treffer von den Kanonen der Me-262." Die Geschosse des Jägers
töten den MG-Schützen Tichenor, zerfetzen den Arm des MG-Schützen Boyes
und zerschnitten die Rumpfmitte. "Unsere B-17 war tödlich
getroffen", schreibt Lewis, "ich warf sofort die Bomben ab und
verließ das Flugzeug. Ich öffnete die Notverriegelung der Einstiegsluke
und wurde mit ihr kopfüber aus dem Bomber gezogen. Das war in etwa 8000
Metern Höhe. Der Bomber explodierte. So weit ich erkennen konnte, waren
noch drei weitere Crew-Mitglieder herausgekommen. Die restliche Besatzung
ging mit dem Flugzeug in die Tiefe und starb beim Aufschlag. In einigen
hundert Metern Höhe begann ich ein merkwürdiges Geräusch zu hören. Ich
dachte mein Fallschirm zerreißt und blickte nach Oben, aber da war alles
in Ordnung. Da bemerkte ich, dass ich von Bauern beschossen wurde. Als ich
den Boden erreichte, rollte ich ab, löste die Fallschirmgurte und rannte
vor den Zivilisten davon, die mich immer noch beschossen. Das Glück war
auf meiner Seite, denn ich sah drei Soldaten auf mich zukommen, denen ich
mich sofort ergab und die mich vor den ankommenden Zivilisten beschützten.
Ich wurde von den Soldaten in ein nahe gelegenes Bauernhaus gebracht und
in ein Hinterzimmer eingeschlossen."
Der
US-Jagdflieger Joe Peterburs sah den Angriff der Me-262 auf die Bomber und
begann sofort mit der Verfolgung. Zusammen mit seinem Staffelkameraden
Captain Richard Tracy stürzte er hinter einem Düsenjäger hinterher. Er
erzielte noch einige Treffer auf die Me, diese verschwand jedoch in einem
Wolkenfeld. Als Peterburs und Tracy unterhalb dieser Wolken waren,
bemerkten sie unter sich einen Flugplatz, auf dem etliche Flugzeuge zu
sehen waren und beide begannen mit einem Tiefflugangriff auf diesen Platz.
Tracy und Peterburs machten einige Anflüge auf die gegnerischen Flugzeuge
und schossen mehrere davon in Brand. Aber nach dem dritten Anflug wurde
Tracy von dem heftigen Bodenfeuer getroffen und musste das Flugzeug sofort
verlassen. Auch Peterburs wurde nach dem sechsten Anflug getroffen,
steuerte sein angeschlagenes Flugzeug aber bis nach Burg, wo er aussteigen
musste und ebenfalls in Gefangenschaft geriet.
Sergeant
Lewis saß derweil immer noch in dem Hinterzimmer. Draußen vor dem
Fenster bemerkte er zwei junge Mädchen. "Sie zwölf oder 14 Jahre
alt", berichtet Lewis, "waren blond, hatten blaue Augen und
liebliche Gesichter, die ich niemals vergessen werde. Die eine war der
Ausguck. Sie drehte ihren Kopf immer zur Front des Hauses, während die andere
mir zu verstehen gab, dass ich das Fenster öffnen sollte. Sie versuchte
zum Fenster hochzuklettern. Ich glaube, sie wollte mir Gebäck geben. Mich
hat ihre Courage sehr beeindruckt. Ich gab ihnen aber durch Zeichen zu
verstehen, dass sie verschwinden sollen, weil ich befürchtete, dass, wenn
sie erwischt werden, könnten sie großen Ärger bekommen, weil sie mit
einem Feind Kontakt aufnehmen." Frank Lewis hat dieses Ereignis und
die "two little German girls" niemals vergessen können.
Am
Abend wurde er, bewacht von zwei Soldaten, mit der Bahn nach Berlin
Tempelhof gebracht. In der Bahn bemerkte er, wie einige Frauen gegen ihn
die Worte "Schwein", "Terrorflieger" und
"Chicago-Gangster" sprachen. In Tempelhof wurde er an die
dortige Flugplatz-Kommandantur übergeben. Dort erfuhr er, zu seinem
Erstaunen, dass die Soldaten, die ihn gefangen genommen und hierher
gebracht hatten, von der SS waren. "Ich blieb einige Tage in
Tempelhof, wurde gut behandelt und aß immer mit dem Personal in den großen
Speisesälen. Am vierten oder fünften Tag gesellte sich ein
abgeschossener P-51 Mustang Pilot zu mir. Ich war sehr froh über sein
Erscheinen." Dieser Pilot war Captain Richard Tracy. Beide wurde kurz
darauf mit der Bahn nach Luckenwalde gebracht, in das dortige
Kriegsgefangenenlager. Kurz darauf traf auch noch Joseph Peterburs in
diesem Lager ein. Dieser war für wenige Tage in dem Kriegsgefangenenlager
in Altengrabow inhaftiert, ehe er und die anderen Kriegsgefangenen von
dort in einem Gewaltmarsch nach Osten getrieben wurden.
"Ich
blieb gerade lange genug in Luckenwalde, um Läuse, eine Lungenentzündung
und ein Paar Schuhe zu bekommen", schreibt Lewis. Dann schlichen sie
alle davon, weil eine scharfe Bewachung faktisch nicht mehr existierte.
"Bei Jüterbog trafen wir auf vorgestoßene russische
Panzereinheiten", berichtet Joe Peterburs. "Wir kämpften uns
mit ihnen bis nach Wittenberg durch. Auf dem Weg dorthin wurde ich von den
Anderen getrennt. An der Elbe erreichte ich dann endlich amerikanische
Streitkräfte." Joe Peterburs hörte bis zum April 2002 nichts mehr
von seinen Kameraden, bis ich ihm von Übereinstimmungen in seinem und dem
Bericht von Frank E. Lewis schrieb. Peterburs fand Lewis im Telefonbuch
der USA. "Ich kann kaum glauben, was geschehen ist", schrieb
Lewis später, "als ich den Anruf aus Colorado Springs erhielt, bin
ich fast aus meinem Sessel gefallen." Die beiden Männer stehen nun
in Kontakt.
|
|
|