Pressemitteilungen

Oranienburger Generalanzeiger, Gransee-Zeitung 13.07.2002

Märker  24.08.2002

 
Fliegerschicksale

Abgeschossen beim Angriff auf Oranienburg

Von Volkmar Ernst

Oranienburg  Mario Schulze ist Mitglied der Arbeitsgruppe "Fliegerschicksale", deren Ziel es ist, viele Informationen im Zusammenhang mit den Luftangriffen auf Oranienburg und das Schicksal der Flugzeugbesatzungen zusammenzutragen. Dabei haben die Mitglieder der Arbeitsgruppe die zwei Amerikaner Frank Lewis und Joe Peterburs ausfindig gemacht, die den Angriffen im April 1945 auf Oranienburg dabei waren. Die Maschinen der beiden Soldaten wurden im Verlauf der Kampfhandlungen abgeschossen. Doch sie konnten sich aus  den Flugzeugen retten und gerieten in Gefangenschaft.

"Two little German girls" halfen Flieger

Oranienburg: Arbeitsgemeinschaft "Fliegerschicksale" stellte Kontakte zwischen ehemaligen Soldaten her

Von Mario Schulze

Oranienburg    "Die Geschichte hat Lektionen für jederman." Mit diesem Satz beginnt der 79-jährige Amerikaner Frank E. Lewis seinen Bericht über die Ereignisse in den Kriegstagen 1945, als er über Oranienburg abgeschossen worden war. Am Vormittag des 10. April 1945 hob eine Streitmacht von 1315 Bombern und 853 Jagdflugzeugen der US Air Force von den Plätzen in England und den befreiten Gebieten Europas ab, um Flugplätze der Luftwaffe im Osten Deutschlands und im Raum Berlin zu bombardieren. Vorrangiges Ziel war, die Startbasen der deutschen Düsenjäger, der Me-262, zu zerstören. Der Oranienburger Flugplatz war einer davon. Doch ein anderes Ziel in diesem Raum stand ebenfalls auf der Liste der Alliierten, das SS-Feldzeug-Depot und die dazugehörenden Klinkerwerke in Oranienburg. Auf dieses Ziel waren 294 B-17 "Flying Fortress" angesetzt.

 

Der 21-jährige Staff Sergeant Frank E. Lewis aus Macon, Virginia, sitzt im Bug eines Bombers, der zur Führungsgruppe der 398. Bombergruppe gehört. Er ist der Bombenschütze und es ist sein 34. Kampfeinsatz, noch einen muss er absolvieren, dann kann er nach Hause. Mit seinem Jagdflugzeug P-51 Mustang begleitet der 20-jährige Leutnant Joe Peterburs von der 20. Jägergruppe die Bomber. Es ist sein 49. Kampfeinsatz. Die beiden Männer werden sich in wenigen Tagen unter ungünstigen Verhältnissen begegnen - in einem deutschen Kriegsgefangenlager.

 

Im Raum Wittenberge beginnt der Zielanflug. "Wir waren 90 Sekunden vom Ziel entfernt", berichtet Lewis, "als uns die deutschen Düsenjäger angriffen. Ich hatte schon die Klappen des Bombenschachts geöffnet, da bekamen wir Treffer von den Kanonen der Me-262." Die Geschosse des Jägers töten den MG-Schützen Tichenor, zerfetzen den Arm des MG-Schützen Boyes und zerschnitten die Rumpfmitte. "Unsere B-17 war tödlich getroffen", schreibt Lewis, "ich warf sofort die Bomben ab und verließ das Flugzeug. Ich öffnete die Notverriegelung der Einstiegsluke und wurde mit ihr kopfüber aus dem Bomber gezogen. Das war in etwa 8000 Metern Höhe. Der Bomber explodierte. So weit ich erkennen konnte, waren noch drei weitere Crew-Mitglieder herausgekommen. Die restliche Besatzung ging mit dem Flugzeug in die Tiefe und starb beim Aufschlag. In einigen hundert Metern Höhe begann ich ein merkwürdiges Geräusch zu hören. Ich dachte mein Fallschirm zerreißt und blickte nach Oben, aber da war alles in Ordnung. Da bemerkte ich, dass ich von Bauern beschossen wurde. Als ich den Boden erreichte, rollte ich ab, löste die Fallschirmgurte und rannte vor den Zivilisten davon, die mich immer noch beschossen. Das Glück war auf meiner Seite, denn ich sah drei Soldaten auf mich zukommen, denen ich mich sofort ergab und die mich vor den ankommenden Zivilisten beschützten. Ich wurde von den Soldaten in ein nahe gelegenes Bauernhaus gebracht und in ein Hinterzimmer eingeschlossen."

Der US-Jagdflieger Joe Peterburs sah den Angriff der Me-262 auf die Bomber und begann sofort mit der Verfolgung. Zusammen mit seinem Staffelkameraden Captain Richard Tracy stürzte er hinter einem Düsenjäger hinterher. Er erzielte noch einige Treffer auf die Me, diese verschwand jedoch in einem Wolkenfeld. Als Peterburs und Tracy unterhalb dieser Wolken waren, bemerkten sie unter sich einen Flugplatz, auf dem etliche Flugzeuge zu sehen waren und beide begannen mit einem Tiefflugangriff auf diesen Platz. Tracy und Peterburs machten einige Anflüge auf die gegnerischen Flugzeuge und schossen mehrere davon in Brand. Aber nach dem dritten Anflug wurde Tracy von dem heftigen Bodenfeuer getroffen und musste das Flugzeug sofort verlassen. Auch Peterburs wurde nach dem sechsten Anflug getroffen, steuerte sein angeschlagenes Flugzeug aber bis nach Burg, wo er aussteigen musste und ebenfalls in Gefangenschaft geriet.

 

Sergeant Lewis saß derweil immer noch in dem Hinterzimmer. Draußen vor dem Fenster bemerkte er zwei junge Mädchen. "Sie zwölf oder 14 Jahre alt", berichtet Lewis, "waren blond, hatten blaue Augen und liebliche Gesichter, die ich niemals vergessen werde. Die eine war der Ausguck. Sie drehte ihren Kopf immer zur Front des Hauses, während die andere mir zu verstehen gab, dass ich das Fenster öffnen sollte. Sie versuchte zum Fenster hochzuklettern. Ich glaube, sie wollte mir Gebäck geben. Mich hat ihre Courage sehr beeindruckt. Ich gab ihnen aber durch Zeichen zu verstehen, dass sie verschwinden sollen, weil ich befürchtete, dass, wenn sie erwischt werden, könnten sie großen Ärger bekommen, weil sie mit einem Feind Kontakt aufnehmen." Frank Lewis hat dieses Ereignis und die "two little German girls" niemals vergessen können.

 

Am Abend wurde er, bewacht von zwei Soldaten, mit der Bahn nach Berlin Tempelhof gebracht. In der Bahn bemerkte er, wie einige Frauen gegen ihn die Worte "Schwein", "Terrorflieger" und "Chicago-Gangster" sprachen. In Tempelhof wurde er an die dortige Flugplatz-Kommandantur übergeben. Dort erfuhr er, zu seinem Erstaunen, dass die Soldaten, die ihn gefangen genommen und hierher gebracht hatten, von der SS waren. "Ich blieb einige Tage in Tempelhof, wurde gut behandelt und aß immer mit dem Personal in den großen Speisesälen. Am vierten oder fünften Tag gesellte sich ein abgeschossener P-51 Mustang Pilot zu mir. Ich war sehr froh über sein Erscheinen." Dieser Pilot war Captain Richard Tracy. Beide wurde kurz darauf mit der Bahn nach Luckenwalde gebracht, in das dortige Kriegsgefangenenlager. Kurz darauf traf auch noch Joseph Peterburs in diesem Lager ein. Dieser war für wenige Tage in dem Kriegsgefangenenlager in Altengrabow inhaftiert, ehe er und die anderen Kriegsgefangenen von dort in einem Gewaltmarsch nach Osten getrieben wurden. 

 

"Ich blieb gerade lange genug in Luckenwalde, um Läuse, eine Lungenentzündung und ein Paar Schuhe zu bekommen", schreibt Lewis. Dann schlichen sie alle davon, weil eine scharfe Bewachung faktisch nicht mehr existierte. "Bei Jüterbog trafen wir auf vorgestoßene russische Panzereinheiten", berichtet Joe Peterburs. "Wir kämpften uns mit ihnen bis nach Wittenberg durch. Auf dem Weg dorthin wurde ich von den Anderen getrennt. An der Elbe erreichte ich dann endlich amerikanische Streitkräfte." Joe Peterburs hörte bis zum April 2002 nichts mehr von seinen Kameraden, bis ich ihm von Übereinstimmungen in seinem und dem Bericht von Frank E. Lewis schrieb. Peterburs fand Lewis im Telefonbuch der USA. "Ich kann kaum glauben, was geschehen ist", schrieb Lewis später, "als ich den Anruf aus Colorado Springs erhielt, bin ich fast aus meinem Sessel gefallen." Die beiden Männer stehen nun in Kontakt.