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100 Dollar für Oranienburg
Arbeitsgemeinschaft Fliegerschicksale knüpft
Kontakte in die USA / Paul Hertenstein schickt Scheck
von Volkmar Ernst
Einen Scheck in Höhe von
100 Dollar erhielt gestern die Stadt Oranienburg von Paul L. Hertenstein.
Der saß als Navigator am 14. April 1945 in einem der Flugzeuge, die ihre
Bomben auf die Stadt abwarfen.
Der Scheck solle als
symbolische Geste der Wiedergutmachung an die Oranienburger aufgefasst
werden, hatte Herr Herdenstein in einem Begleitschreiben angemerkt, da er
sich sicher sei, dass die heutigen Oranienburger nicht mit jenen
fanatischen Deutschen gleichzusetzen seien, die die Verantwortung für den
2. Weltkrieg trugen. Oranienburgs Bürgermeister Hans-Joachim Laesicke und
Ordnungsamtschefin Sylvia Holm, auf deren Name der Scheck ausgestellt war,
dankten Mario Schulze von der "Arbeitsgemeinschaft
Fliegerschicksale" als Überbringer des Schecks. "Wir werden es
aber nicht für den Kauf von Sprit oder Absperrband bei der nächsten
Bombenentschärfung ausgeben, sondern für die zum Jahresende geplante
Dankeschönveranstaltung an alle Mitarbeiter und Helfer, die bei den
Bombenentschärfungen immer im Einsatz sind", so der Bürgermeister.
"Ich bin sicher, dass Herr Hertenstein damit einverstanden ist."
Der Meinung ist auch Mario Schulze, der Hertenstein auf dem Laufenden
halten will, was in Oranienburg an Bombenentschärfung passiert und natürlich
auch berichten wird, wie das Geld verwendet wird.
Schulze war es auch, der
die ungewöhnliche Spende, wenn auch nur indirekt, angeregt hat. Der 34-Jährige
gehört zu einer Gruppe Hobbyhistorikern, die in Oranienburg die
"Arbeitsgemeinschaft Fliegerschicksale" ins Leben gerufen haben.
Sie durchstreifen das Stadtgebiet, sind aber auch auf den Felder und in
den Wäldern rund um Oranienburg anzutreffen, um ehemalige Absturzstellen
von Flugzeugen ausfindig zu machen. Mittlerweile gehört aber auch das
Sichten von Akten in Archiven, ob in Oranienburg, Berlin oder sogar
London, dazu. Sie erforschen ein Stück Kriegsgeschichte, dass sich in und
rund um die Stadt Oranienburg abgespielt hat. "Meine Oma war
Angestellte in den Auerwerken", erzählt Schulze. Sie habe ihm von
den Bombenangriffen auf die Stadt im März und April 1945 erzählt, von
den Betrieben und Häusern, die zerstört worden seien, von den brennenden
Häusern und den Toten. Das alles sei ihm in Erinnerung geblieben, und
habe ihn dazu bewogen, in der Arbeitsgruppe mitzumachen.
Bei eben diesen Forschungen
seien die Mitglieder der AG auch auf den Abschuss eines amerikanischen
Flugzeuges gestoßen, dass am 14. April 1945 an dem Angriff auf das
Klinkerwerk und SS-Ordonanzdepot, das sich im Wald zwischen Oranienburg
und Friedrichsthal befand, beteiligt war. In jenem Flugzeug habe der heute
81-Jährige Paul L. Hertenstein als Navigator gesessen. In Kontakt mit
Hertenstein sei er über die im Internet vertretene
"Bombergruppenvereinigung", eine Veteranenvereinigung von
Mannschaftsmitgliedern ehemaliger Bomberbesatzungen, gekommen, deren
Homepage er angeklickt habe. Als Mitglied einer solchen Flugzeugbesatzung,
die die Angriffe auf Oranienburg geflogen habe, und auch weil sein
Flugzeug bei einem solchen Einsatz abgeschossen worden sei, habe sich
Hertenstein für die Arbeit der Arbeitsgemeinschaft interessiert und sei
zudem bereit gewesen, mit den Hobbyforschern zusammenzuarbeiten.
Hertenstein sei überrascht gewesen, dass noch heute immer wieder Bomben
in Oranienburg entschärft werden müssen. So sei es aus der ersten
Kontaktaufnahme eines Briefwechsel entstanden. In einem dieser Briefe habe
Hertenstein eine Zehn-Dollar-Note als Entschädigung für Briefpapier,
Marken und Aufwand gelegt, erzählt Schulze. "Aber das wollte ich
nicht", so der Hobbyforscher weiter. "Da bin ich auf die Idee
gekommen die zehn Dollar an das Ordnungsamt zu geben. Aber auch das wollte
ich nur mit Zustimmung machen", erklärt Mario Schulze, warum er
Hertenstein darüber informiert hat. Als er dann den Antwortbrief geöffnet
habe, sei ihn zuerst eine Ablichtung von Hertensteins Ausweis und danach
der 100-Dollar-Scheck in die Hände gefallen, erzählt Schulze, warum er
diesen Scheck in den Händen halte und nun an Ordnungsamtsleiterin Sylvia
Holm und Bürgermeister Laesicke überreiche.
Über Hertenstein wusste
Schulze noch zu berichten, dass die Familie ursprünglich aus der Schweiz
stammt und in die USA ausgewandert ist, wo er am 27. Oktober 1920 geboren
wurde. Während des 2. Weltkrieges hat er in der amerikanischen Luftwaffe
gedient. Als Navigator war er Mitglied der Bomberflugzeugbesatzung, die
unter anderem die Angriffe auf Oranienburg flog. Dabei wurde seine
Maschine bei dem Angriff am 10. April 1945 von deutschen Düsenjägern
getroffen. Gemeinsam mit dem Piloten sei Hertenstein der Letzte gewesen,
der die Maschine verlassen habe, berichtete Schulze. Beim Aufkommen auf
dem Boden habe er neun Rippenbrüche und eine angeschlagene Wirbelsäule
davongetragen. Der Pilot und Hertenstein seien von einem Zivilisten
festgenommen und danach nach Karinhall, Görings Landhaus, gebracht
worden. Aufgrund seiner Verletzung sei er später in ein Krankenhaus in
oder in der Nähe von Oranienburg gebracht worden. In welches, das wollen
nun die Mitarbeiter der "Arbeitsgruppe Fliegerschicksale" als nächstes
in Erfahrung bringen.
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