Pressemitteilung Oranienburger Generalanzeiger, 12. 07.2001

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

100 Dollar für Oranienburg

Arbeitsgemeinschaft Fliegerschicksale knüpft Kontakte in die USA / Paul Hertenstein schickt Scheck

von Volkmar Ernst

Einen Scheck in Höhe von 100 Dollar erhielt gestern die Stadt Oranienburg von Paul L. Hertenstein. Der saß als Navigator am 14. April 1945 in einem der Flugzeuge, die ihre Bomben auf die Stadt abwarfen.

Der Scheck solle als symbolische Geste der Wiedergutmachung an die Oranienburger aufgefasst werden, hatte Herr Herdenstein in einem Begleitschreiben angemerkt, da er sich sicher sei, dass die heutigen Oranienburger nicht mit jenen fanatischen Deutschen gleichzusetzen seien, die die Verantwortung für den 2. Weltkrieg trugen. Oranienburgs Bürgermeister Hans-Joachim Laesicke und Ordnungsamtschefin Sylvia Holm, auf deren Name der Scheck ausgestellt war, dankten Mario Schulze von der "Arbeitsgemeinschaft Fliegerschicksale" als Überbringer des Schecks. "Wir werden es aber nicht für den Kauf von Sprit oder Absperrband bei der nächsten Bombenentschärfung ausgeben, sondern für die zum Jahresende geplante Dankeschönveranstaltung an alle Mitarbeiter und Helfer, die bei den Bombenentschärfungen immer im Einsatz sind", so der Bürgermeister. "Ich bin sicher, dass Herr Hertenstein damit einverstanden ist." Der Meinung ist auch Mario Schulze, der Hertenstein auf dem Laufenden halten will, was in Oranienburg an Bombenentschärfung passiert und natürlich auch berichten wird, wie das Geld verwendet wird.

Schulze war es auch, der die ungewöhnliche Spende, wenn auch nur indirekt, angeregt hat. Der 34-Jährige gehört zu einer Gruppe Hobbyhistorikern, die in Oranienburg die "Arbeitsgemeinschaft Fliegerschicksale" ins Leben gerufen haben. Sie durchstreifen das Stadtgebiet, sind aber auch auf den Felder und in den Wäldern rund um Oranienburg anzutreffen, um ehemalige Absturzstellen von Flugzeugen ausfindig zu machen. Mittlerweile gehört aber auch das Sichten von Akten in Archiven, ob in Oranienburg, Berlin oder sogar London, dazu. Sie erforschen ein Stück Kriegsgeschichte, dass sich in und rund um die Stadt Oranienburg abgespielt hat. "Meine Oma war Angestellte in den Auerwerken", erzählt Schulze. Sie habe ihm von den Bombenangriffen auf die Stadt im März und April 1945 erzählt, von den Betrieben und Häusern, die zerstört worden seien, von den brennenden Häusern und den Toten. Das alles sei ihm in Erinnerung geblieben, und habe ihn dazu bewogen, in der Arbeitsgruppe mitzumachen.

Bei eben diesen Forschungen seien die Mitglieder der AG auch auf den Abschuss eines amerikanischen Flugzeuges gestoßen, dass am 14. April 1945 an dem Angriff auf das Klinkerwerk und SS-Ordonanzdepot, das sich im Wald zwischen Oranienburg und Friedrichsthal befand, beteiligt war. In jenem Flugzeug habe der heute 81-Jährige Paul L. Hertenstein als Navigator gesessen. In Kontakt mit Hertenstein sei er über die im Internet vertretene "Bombergruppenvereinigung", eine Veteranenvereinigung von Mannschaftsmitgliedern ehemaliger Bomberbesatzungen, gekommen, deren Homepage er angeklickt habe. Als Mitglied einer solchen Flugzeugbesatzung, die die Angriffe auf Oranienburg geflogen habe, und auch weil sein Flugzeug bei einem solchen Einsatz abgeschossen worden sei, habe sich Hertenstein für die Arbeit der Arbeitsgemeinschaft interessiert und sei zudem bereit gewesen, mit den Hobbyforschern zusammenzuarbeiten. Hertenstein sei überrascht gewesen, dass noch heute immer wieder Bomben in Oranienburg entschärft werden müssen. So sei es aus der ersten Kontaktaufnahme eines Briefwechsel entstanden. In einem dieser Briefe habe Hertenstein eine Zehn-Dollar-Note als Entschädigung für Briefpapier, Marken und Aufwand gelegt, erzählt Schulze. "Aber das wollte ich nicht", so der Hobbyforscher weiter. "Da bin ich auf die Idee gekommen die zehn Dollar an das Ordnungsamt zu geben. Aber auch das wollte ich nur mit Zustimmung machen", erklärt Mario Schulze, warum er Hertenstein darüber informiert hat. Als er dann den Antwortbrief geöffnet habe, sei ihn zuerst eine Ablichtung von Hertensteins Ausweis und danach der 100-Dollar-Scheck in die Hände gefallen, erzählt Schulze, warum er diesen Scheck in den Händen halte und nun an Ordnungsamtsleiterin Sylvia Holm und Bürgermeister Laesicke überreiche.

Über Hertenstein wusste Schulze noch zu berichten, dass die Familie ursprünglich aus der Schweiz stammt und in die USA ausgewandert ist, wo er am 27. Oktober 1920 geboren wurde. Während des 2. Weltkrieges hat er in der amerikanischen Luftwaffe gedient. Als Navigator war er Mitglied der Bomberflugzeugbesatzung, die unter anderem die Angriffe auf Oranienburg flog. Dabei wurde seine Maschine bei dem Angriff am 10. April 1945 von deutschen Düsenjägern getroffen. Gemeinsam mit dem Piloten sei Hertenstein der Letzte gewesen, der die Maschine verlassen habe, berichtete Schulze. Beim Aufkommen auf dem Boden habe er neun Rippenbrüche und eine angeschlagene Wirbelsäule davongetragen. Der Pilot und Hertenstein seien von einem Zivilisten festgenommen und danach nach Karinhall, Görings Landhaus, gebracht worden. Aufgrund seiner Verletzung sei er später in ein Krankenhaus in oder in der Nähe von Oranienburg gebracht worden. In welches, das wollen nun die Mitarbeiter der "Arbeitsgruppe Fliegerschicksale" als nächstes in Erfahrung bringen.