Pressemitteilungen           Oranienburger Generalanzeiger, 31.01.2004

 

Vor 60 Jahren in den märkischen Wäldern verschollen

Von Rüdiger Kaddatz

Ende Januar 1944 musste Berlin die schwersten Luftangriffe seit Beginn des Krieges ertragen. In den Nächten vom 27. zum 28. Januar und in den darauffolgenden Nächten wurden nacheinander drei Großangriffe geflogen.

Am frühen Abend des 28. Januar starteten in England kleine Bomberverbände mit unterschiedlichen Zielen. In der deutschen Luftverteidigung soll mit Stör- und Scheinangriffen Verwirrung gestiftet werden. Ab Mitternacht geht es richtig los, die Starts reißen nicht ab. Pausenlos starten von fast allen englischen Flugplätzen hunderte Bomber, insgesamt 677 Flugzeuge.

Um 0:49 Uhr hebt auch die Lancaster MK III der 467. Squadron ab. Flight Lieutenant Ivan Durston, ein 32 jähriger Australier aus Windsor in Queensland, steuert als Pilot den viermotorigen Bomber. Aufgrund des langen Anflugweges hat die Maschine nur ca. 3 Tonnen Bomben an Bord, eigentlich kann sie bis zu 6,5 t Bomben laden. Mit einer Anfluggeschwindigkeit von fast 400 km/h geht es über Dänemark nach Berlin. In den letzten beiden Monaten waren sie schon sechsmal über Berlin, jedes Mal kehren sie ohne große Probleme zu ihrem Flugplatz zurück. Mit an Bord sind die Australier Robert Ludlow, Phillip Gill und Jack Sutherland, der vor kurzem Vater geworden war, und die Briten Francis Aver, Harold Fry und Sidney Griffiths. Gemeinsam haben sie schon 24 Einsätze hinter sich gebracht. Diesen Einsatz und noch fünf weitere dann wäre der Krieg für sie vorbei. Doch es sollte anders kommen. Kurz vor Erreichen des Ziels werden sie wahrscheinlich von einem Nachtjäger des Nachtjagdgeschwaders 5 gesichtet. Der Nachtjäger greift sofort an. Er muss die Maschine mit der ersten Salve schwer getroffen haben. Die Lancaster fällt wie ein Stein als brennende Fackel vom Himmel. Die Besatzung hat keine Chance das Flugzeug zu verlassen. Beim Aufschlag auf dem Boden explodiert die tödliche Last, der Treibstoff tut sein Übriges.

Da die Besatzung nicht zurückkehrt, wird sie am folgenden Tag als vermisst gemeldet. Auch kurz nach dem Krieg können die englischen Suchtrupps den Verbleib der Maschine und der Besatzung nicht klären. Die Mutter von Herold Fry erhielt auf die Nachforschungen nach ihrem Sohn am 05.12.1945 vom Suchdienst der Royal Air Force eine Nachricht, in der ihr mitgeteilt wird, dass das Flugzeug ihres Sohnes wahrscheinlich in der russischen Zone Deutschlands abgestürzt ist. Die Offiziere des Suchdienstes können sich in Westeuropa frei bewegen, aber in der russischen Zone sei dies leider nicht möglich.

Der Kalte Krieg war bereits in vollem Gange. So reihte sich die Besatzung der Lancaster ED 867 in das Heer der Vermissten aus dem 2. Weltkrieg ein.

In den 70er Jahren wurde am Rande der Gemeinde Lehnitz ein Schießplatz errichtet. Umfangreiche Geländerprofilierungen wurden durchgeführt, so auch über der Absturzstelle eines Flugzeuges, das sich tief in die Erde gebohrt hatte. Nach und nach wurden durch Umpflügen des Geländes einzelne Wrackteile an die Oberfläche befördert. Im Jahre 1997 wurden diese Wrackteile erstmals zielgerichtet untersucht. In jahrelanger Kleinarbeit konnte das Flugzeug und letztlich auch die Besatzung durch die Arbeitsgemeinschaft Fliegerschicksale identifiziert werden, es war die ED 867. Am 15. Juli 2003 konnten die  sterblichen Überreste, die bei der Untersuchung der Absturzstelle geborgen wurden, unter Teilnahme der Angehörigen in Berlin beigesetzt werden.

Im Vorfeld wurde in Australien und in Großbritannien über die Medien nach noch lebenden Angehörigen gesucht. Als Erste meldete sich Betty James (86), die Schwester des Piloten. Sie trug noch immer ein Bild von ihrem Bruder bei sich, in der Hoffnung, dass sich das Schicksal ihres geliebten Bruders vielleicht doch noch irgendwann aufklären würde, jetzt war es soweit. Auch die Frau und der Sohn von Jack Sutherland, der seinen Vater nie kennen gelernt hatte, meldeten sich. Und auch vom dritten Australier, Robert Ludlow, meldete sich die Schwester, Claire Allett. Sie kann sich noch genau an den Tag erinnern, an dem sie vom Absturz ihres Bruders erfuhr. Noch immer trägt sie ein goldenes Kreuz um den Hals, das Robert ihr aus Europa geschickt hatte. Sie ist froh, endlich Abschied nehmen zu können.

Auch in Großbritannien war die Suche nach Angehörigen von Erfolg gekrönt. Der Bruder von John Griffith und der Bruder von Herold Fry erhielten die Nachricht vom Auffinden ihrer verschollenen Brüder.

Fast alle nahen Angehörigen und auch weitere Verwandte kamen am 15. Juli 2003 nach Berlin, um an der Beisetzung teilzunehmen. Zuvor wurde an der Absturzstelle als Zeichen der Erinnerung und Mahnung durch den Chef der australischen Luftwaffe ein Gedenkstein eingeweiht.

Für David Sutherland bedeutete dieser Tag den ersten Kontakt mit seinem Vater. Tief bewegt konnten die Angehörigen endlich Abschied nehmen.

 

Kontakt: Rüdiger Kaddatz 03301 701733, www.luftkrieg-oberhavel.de