Verschollen in den märkischen Wäldern                                            
 

Im Sommer 1997, damals noch Alleinkämpfer, untersuchte ich meine erste Absturzstelle zwischen Lehnitz und Schmachtenhagen, es war eine Fw 190. Dabei suchte ich auch die weitere Umgebung der Aufschlagstelle dieses Flugzeuges ab. In einer Entfernung von ungefähr 800 Meter zur Absturzstelle  der deutschen Jagdmaschine stieß ich auf eine Vielzahl von Aluminiumteilen, die beim Flügen eines Brandschutzstreifen an die Oberfläche befördert wurden. Ich vermutete sofort die Absturzstelle eines weiteren Flugzeuges.

 

 

Schon nach kurzer Zeit fand ich ein Teil mit einer runden Wartungsklappe von ungefähr 15 cm Durchmesser mit einer englischen Aufschrift. Die Teile konnten nur von einem alliierten Flugzeug stammen. Ich nahm einige Teile mit, von denen ich annahm, dass sie mir bei der Identifizierung weiterhelfen könnten. Zuhause angekommen fotografierte ich sofort diese Teile.

 

 

Da ich in Bezug auf Flugzeuge zu dieser Zeit kaum Erfahrungen hatte, nahm ich über den Jägerkreis Berlin aus der Gemeinschaft der Jagdflieger Vereinigung der Flieger deutscher Streitkräfte e.V., Kontakt mit Werner Girbig, einem bekannten Buchautor, der sich schon seit Jahrzehnten mit der Untersuchung von Flugzeugabstürzen aus dem Zweiten Weltkrieg befasst, auf. Die Bücher "Im Anflug auf die Reichshauptstadt", "Start im Morgengrauen" oder "Vermisst" kennt jeder, der sich mit der Luftkriegsgeschichte des 2. Weltkrieges befasst. Am 07.08.1997 schickte ich Herrn Girbig u.a. dieses Foto.

Herr Girbig ordnete die Wrackteile einer Lancaster zu. Er konnte aber diesen Absturzort keinem bekannten Absturzort zuordnen. Zwischenzeitlich hatte ich weitere Teile geborgen und versuchte jetzt über Nummern-Cods, die man mit etwas Glück auf den Teilen finden kann, den genauen Typ der Lancaster zu ermitteln. Es gelang leider nicht eindeutig. Fest stand zu diesem Zeitpunkt, dass es sich um eine Lancaster handelt, die wahrscheinich noch als vermisst gilt.

Mit den Teilen kam ich nicht weiter, also versuchte ich den Zeitpunkt des Absturzes einzugrenzen. Bei jeder sich mir bietenden Gelegenheit befragte ich ältere Leute aus Lehnitz und Schmachtenhagen, ob sie sich an den Absturz erinnern können. Es gab zwar viele , denen diese Absturzstelle bekannt war, aber keiner konnte sich an den genauen Zeitpunkt erinnern. Die Angaben waren sehr widersprüchlich und somit kaum zu verwerten.

Als nächstes versuchte ich über Kriegsluftbilder den Zeitpunkt einzugrenzen. Ich beantragte im Februar 1998 beim Landesvermessungsamt in Potsdam Kriegsluftbilder aus diesem Gebiet einsehen zu dürfen. Anfang März fuhr ich nach Potsdam und konnte mir die dort vorhandenen Bilder ansehen. Gleich auf dem ersten Kriegsluftbild, es stammte vom 20.03.1945, konnte ich deutlich die Aufschlagstelle erkennen, erstmalig taucht die Absturzstelle auf einem Bild vom 13.09.1944 auf. Die Lancaster musste also vor dem 13.09.1944 abgestürzt sein. ( Luftbildnutzung mit Genehmigung der Landesvermessung und Geobasisinformation Brandenburg, Nr. GB 40/03 ; siehe auch im  Infobereich "Link`s")

Weitere Recherchen auf den umliegenden Friedhöfen blieben ohne Erfolg. Kein englischer Flieger wurde dort während des 2. Weltkrieges beigesetzt, jedenfalls nach den Unterlagen.

   Im Frühjahr 1998 bin ich mit meinen Ermittlungen nicht mehr weitergekommen. Der Schwerpunkt meiner Arbeit konzentrierte sich jetzt auf andere Absturzstellen.

Im Sommer 1999 überschlugen sich die Ereignisse. Zwischenzeitlich war ich nicht mehr Alleinkämpfer, zwei weitere historisch Interessierte , Mario Schulze und Uwe Rathenow, hatten sich mir angeschlossen, jetzt waren wir ein Team. Zum weiteren Umfeld unseres Teams gesellten sich weitere Gleichgesinnte, einer kommt aus Lehnitz. Bei seinen Spaziergängen in die nähere Umgebung suchte er immer wieder die Absturzstelle der Lancaster auf. Im Sommer 1999 wollte er eine Schnur aus dem Erdboden ziehen, es ging nicht. Beim Freilegen dieser Schnur stieß er auf sterbliche Überreste eines Menschen.

Sofort wurden alle informiert, vom Grundstückseigentümer bis zum Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK). Am nächsten Tag erschien der verantwortliche Umbetter vom VDK mit einem Arbeitsauftrag der Landesstelle. Gemeinsam suchten wir die Absturzstelle auf. Der Umbetter bestätigte das, was für uns eigentlich schon feststand, dass es sich um sterbliche Überreste eines Menschen handelte. Wir versuchten die Fundstelle freizulegen.

 

 

 

 

 

 

Leider konnten wir an diesem Tag nur wenige sterbliche Überreste bergen. Die weitere Suche mit dem Spaten nach sterblichen Überresten der Besatzungsmitglieder blieb ohne Erfolg. Nach kurzer gemeinsamer Beratung entschlossen wir uns mit schwerer Technik weiter zu suchen. Mit Hilfe der Bundeswehr, die uns einen Bergepanzer zur Verfügung stellte, wurden zwei große Gruben ausgehoben. Sie waren ungefähr drei Meter breit, fünf Meter lang und bis zu drei Meter tief.

Beim vorsichtigen Ausheben der Gruben konnten wir weitere sterbliche Überreste bergen, aber es waren nur wenige. Deprimiert stellten wir die Arbeiten ein. Vom Umbetter erhielten wir einen Sarkophag zur Aufbewahrung der sterblichen Überreste. Es wurde vereinbart, dass wir in Handarbeit selbständig  weitersuchen und nach Beendigung der Arbeiten die geborgenen sterblichen Überreste an den Umbetter übergeben. In den nächsten Wochen waren fast täglich, wenn das Wetter es zuließ, zwei bis fünf Leute unserer Gruppe  vor Ort. In mühevoller Kleinarbeit wurde der Aushub durchgesiebt und an markanten Stellen weiter gegraben, in der Hoffnung, weitere sterbliche Überreste zu finden, aber vor allem die dazugehörigen Erkennungsmarken, um genau zu wissen, um wen es sich bei der Lancaster-Besatzung handelt.

 

Nach acht Wochen stellten wir frustriert die Arbeiten ein. Wir konnten zwar sehr viele sterbliche Überreste bergen, aber keinen Hinweis zur genauen Identifizierung der Besatzungsmitglieder finden. Die sterblichen Überreste wurden an den Umbetter des VDK übergeben. In der Folge wurden sie auf dem britischen Militärfriedhof in Berlin als "Unknow Airmens" beigesetzt.

 

 

 

Wir fanden nur wenige persönliche Gegenstände, ein stark deformiertes Feuerzeug, eine Kokarde von einer englischen Offiziersmütze, ein Ein-Penny-Stück und einen Ring mit einer Gravur. Bevor wir die sterblichen Überreste an den Umbetter des VDK übergeben haben, haben wir alle Zähne, die wir bergen  konnten, einem befreundeten Zahntechniker übergeben. Er versuchte die Zähne zu sortieren und fertigte eine kleine Expertise zuden Zähnen an. Diese Aktion sollte später den entscheidenden Beitrag zur Identifizierung der Besatzungsmitglieder liefern.

Unsere größten Hoffnungen setzten  wir auf einen Ring, denn dieser trägt eine Gravur, "OB ICK". Mittlerweile verfügten wir über die vollständigen Verlustlisten  des Royal Air Force Bomber Command im 2. Weltkrieg. Mit Akribie wurden alle die ca. 80.000 Namen aus den Verlustlisten mit den Initialen verglichen. Aber eine Übereinstimmung konnte nicht festgestellt werden.

Im Ergebnis der Aktion im Jahre 1999 konnten wir zwar die sterblichen Überreste mehrerer Besatzungsmitglieder bergen, waren aber mit der Identifizierung des Flugzeuges und der Besatzungsmitglieder kaum vorangekommen. Bis auf zwei Anhaltspunkte, die wir bei der Bergung feststellen konnten. Zum einen hatte die Lancaster Brandbomben an Bord, die beim Absturz explodiert sind und zum anderen fanden wir Düppel. 

 

Düppel                                            Brandbomben

Düppel würden erstmalig beim Angriff auf Hamburg am 24/ 25.07.1943 ( Unternehmen Gomorrha ) eingesetzt. Unsere Lancaster musste also danach abgestürzt sein.

Auf Grund der Luftbildauswertung wussten wir schon, dass die Maschine vor dem 13.09.1944 abgestürzt sein muss. Auch die Tatsache , dass die Bomben noch an Bord waren, lassen vermuten, dass die Maschine noch nicht über Berlin war, der Angriff also von Norden erfolgt sein musste.

Jetzt bestand die Chance, die infragekommenden Lancaster stark einzugrenzen. Im infragekommenden Absturzzeitraum vom 25.Juli 1943 bis zum 13.09.1944 flog die RAF insgesamt sechs Angriffe auf Berlin aus nördlicher Richtung. Bei diesen Angriffen gingen 234 viermotorige  Bomber verloren, darunter 180 Lancaster. Bei den verlorengegangenen Lancaster ist keine mit einem Absturzort nördlich von Berlin angegeben. Das bestätigte unsere Vermutung, dass die von uns untersuchte Absturzstelle immer noch zu den nicht bekannten Absturzstellen zählt. Bei den sechs infragekommenden Angriffen gelten insgesamt 19 Flugzeuge vom Typ Lancaster als vermisst oder ein Absturzort ist nicht angegeben. Wir waren uns sicher, dass die Maschine zwischen Lehnitz und Schmachtenhagen eine dieser 19 Maschinen ist.

Wieder kamen wir nicht weiter. Wir hatten alle uns zur Verfügung stehenden Informationsmaterialien ausgewertet. Vielleicht könnte uns das britische Verteidigungsministerium weiterhelfen. Im Ergebnis eines Telefonates am 17.08.1999 mit dem britischen Luftwaffenattachè der britischen Botschaft in Bonn bekamen wir Anschriften einer Abteilung des britischen Verteidigungsministeriums, die uns weiterhelfen könnte. Aber auch die darauffolgende Korrespondenz erweiterte unseren Erkenntnisstand nicht. Auch der Schriftverkehr mit dem RAF Museum Hendon blieb ohne Erfolg. Deprimiert legten wir den Schwerpunkt unserer Arbeit auf andere Absturzstellen.

Im Sommer 2000, nachdem wir fast ein Jahr lang mit der Lösung des Falles Lancaster Lehnitz kein Stück weitergekommen waren, flogen wir für eine Woche  nach London. Das Staatsarchiv war eines  unserer Hauptanlaufpunkte dieser Reise. Wir fanden für uns sensationelle Hinweise zu anderen Absturzstellen, aber zur Lancaster Lehnitz fanden wir keine neuen Erkenntnisse.

Jetzt konnte uns nur noch der Zufall weiterhelfen. Und der Zufall half! Vom Oranienburger Pfarrer erhielten wir am 07.11.2000 einen Brief einer Engländerin. Sie suchte ihren Onkel, der nach den ihr vorliegenden Informationen am 29.01.1944 in der Nähe von Schmachtenhagen abgeschossen wurde, er flog mit einer Lancaster. Dieser Brief löste bei uns eine Euphorie aus. Den 29.01.1944 hatten wir als einen möglichen Absturztag herausgefunden. Sofort nahmen wir Kontakt mit Marion Bywater, der Schreiberin des Briefes, auf und baten um detailliertere Angaben zu ihrem Onkel. Kurze Zeit später teilte sie uns mit, dass der Name ihres Onkels Herold Frey ist und er als Navigator mit einer Lancaster der 467. Squadron am 29.01.1944 südwestlich von Schmachtenhagen abgestürzt ist und er seit diesem Zeitpunkt als vermisst gilt.

Die Freude bei uns war groß. Die Lancaster der 467. Squadron mit der Kennung ED 867 PO-L war eine der Maschinen, die nach unseren Ermittlungen zu den 19 infragekommenden Maschinen gehörte. Die Lancaster Lehnitz besaß wieder höchste Priorität.

 Jetzt konnten wir gezielt recherchieren. 

Wir gelangten in den Besitz einer Kopie eines Beleges der Fliegerhorstkommandantur Finow/Mark, Abteilung Ib/Beute. Entsprechend diesem Beleg wurde im Jagen 233, 5 km ostwärts von Schmachtenhagen u.a. Teile eines Oberhemdes gefunden, auf dem der Name eines Sergeanten Griffiths zu lesen war.

Unsere Absturzstelle befindet sich im Jagen 233 und ein Sergeant Griffiths gehörte zur Besatzung mit der auch Herold Frey geflogen ist.

Alles deutete darauf hin, dass die Lancaster Lehnitz die ED 867 PO-L der 467. Squadron ist.

Wir nahmen Kontakt mit dem australischen Verteidigungsattachè auf, denn das 467. Squadron stand unter australischem Kommando, der Veteranenvereinigung der 467. Squadron und anderer Institutionen.

 

Jetzt ging es Schlag auf Schlag. Max Johnson, der Präsident der Veteranenvereinigung der 467. Squadron kam nach Berlin und traf sich mit uns. Er übergab uns Materialien, die unsere Unterlagen vervollständigten.

 

 

 

 

Wir kamen dem ultimativen Beweis immer näher. Nach einem wiederholten Besuch des australischen Verteidigungsattachè war es endlich so weit. Er hatte die Musterungsunterlagen einiger Besatzungsmitglieder von 1943 mitgebracht. Auf diesen Unterlagen wurde auch der Zustand der Zähne dokumentiert. Jetzt sollte sich unsere damalige Initiative zur Dokumentation der gefundenen Zähne auszahlen. Gemeinsam fuhren wir mit den Unterlagen zu dem Zahntechniker, der uns behilflich war.

 

 

 

Unsere Anspannung war groß. Aber schon beim ersten Vergleich eines Zahnschemas aus den Musterungsunterlagen konnte der Spezialist Übereinstimmung feststellen, und so konnten wir die Gebissteile, die wir dokumentiert hatten zweifelsfrei Besatzungsmitgliedern der ED 867 zuordnen. Es war geschafft! Nach vier Jahren war es mit der Unterstützung vieler selbstlos Helfender gelungen, das Vermisstenschicksal einer australisch-britischen Bomberbesatzung nach fast 60 Jahren zu klären. Es sollte aber noch zwei weitere Jahre dauern, bis unter Teilnahme der Angehörigen aus Australien und Großbritannien die Beisetzung der sterblichen Überreste in namentlichen Gräbern stattfand. Aber das ist eine andere Geschichte.

 

 

 

Veröffentlichungen & Pressemitteilungen über die Lancaster ED 867

 siehe auch "Rechtliches" im Info-Bereich

 04.12.2003  Buchtipp zur Lancaster ED 867....
 17.07.2003  Son watches as airman father he never knew is buried....
 17.07.2003  Lost airmen finally laid to rest
 16.07.2003  Rote Blumen zum Abschied ....
 16.07.2003  Ende der Ungewissheit ....
 16.07.2003  Spätes Gedenken an Soldaten....
 16.07.2003  Gedenkstein für australische und britische Soldaten ....
 16.07.2003  Airmen buried....
 15.07.2003  Sie haben Ihre Namen wieder ....
 15.07.2003  Full honours funeral for 1944 bomber crew....
 15.07.2003  Burial for WWII bomber crew....
 15.07.2003  Families of missing Australian, British crew pay respects following discovery of wreckage
 15.07.2003  Wartime flyers buried in Germany....
 14.07.2003  Family waits 60 years....
 13.07.2003  Aussie airmen hailed....
 12.07.2003  Letzte Ruhestätte für Soldaten ....
 12.07.2003  Australier werden bestattet....
 11.07.2003  Australische Botschaft-Presseabteilung : RAAF-Mannschaft ED 867 wird bestattet...
 11.07.2003  Final salute at last for airmen lost 60 years ago...
 11.07.2003  Squadron's top records
 11.07.2003  Berlin funeral...
 11.07.2003  RAAF funeral 50 years later....
 11.07.2003  War crew find rest Berlin buries Aussies...
 10.07.2003  Minister of Defence Australia : World War II RAAF Crew to be laid to Rest in Berlin....
 10.06.2003  lost airmen mystery solved ....
 29.10.2002 Australische Militärs in Oranienburg    "Der letzte Einsatz"....
 29.10.2002  Besuch aus der Botschaft...
 29.10.2002  der letzte Einsatz...
 28.10.2002  Staatsbesuch...
 17.08.2001  Vor Berlin verschollen beim letzten Einsatz ....
 05.08.2001  Peace at last for the lost crew of ED 867
 05.08.2001  Found: The Australien Airmen lost for 57 yaers ...
 12.06.2001  Schicksal toter Soldaten aufgeklärt ...
 14.09.1999  Nicht namenlos bestatten ..